Irgendwann hat sich im Wiener Bildungsbürgertum die Wahrheit durchgesetzt, die Wiener Festwochen seien "so schlecht geworden". Als vages Maß dafür gilt dann immer die goldene Zeit unter Wiehießerdochgleich, einem früheren Intendanten. Auch die Ausgabe 2022 ist jetzt vorbei.
Bohrt man nach, lösen die Antworten oft Stirnrunzeln aus. Die Leute haben die Ankündigungstexte nicht gelesen und "Madama Butterfly" für eine Oper gehalten, sind des Lesens von Übertiteln müde oder wollen nicht wahrhaben, dass Diskurse gerade psychologisches Schauspiel immer mehr ersetzen. Wird dann psychologisch geschauspielert wie von Isabelle Huppert und Co im "Kirschgarten", ist ihnen das zu konventionell. Verzückt stürmen sie all das, wo Kunst Können bedeutet und sonst nichts: musikalisch-sinnliche Berieselungen wie "Friede auf Erden" von Ulla von Brandenburg oder das Xenakis-Konzert "Kraanerg" des Klangforums. Sollen sie dagegen alleine mit einem Lehrling in ein Kammerl gehen und dessen Lebenswelt nachempfinden wie bei "Close Encounters" von Anna Rispoli, verschmähen sie sogar die Handvoll Karten, die aufgelegt wurden.
Das Publikum ist in den Lockdowns bequem und ungeduldig geworden. Das Festwochen-Programm 2022 war dagegen inhaltlich, formal und qualitativ divers wie (fast) immer. Manches war "eingekauft", manches wurde neu entwickelt, Tops und Flops gab es da wie dort. Man nennt es Festival. Stellt man sich nicht ganz patschert an wie Tomas Zierhofer-Kin 2017 und 2018, passt in fünfeinhalb Wochen sehr viel sehr Verschiedenes hinein. Es braucht eine gezieltere Vermittlung an die Publikumsschichten. Der Pauschalruf "Juhu, Festwochen!" begeistert alleine nicht mehr.