NACHSPIEL
Die Kulturkritik der Woche
Die Rolling Stones kamen über Wien. Es war ein großer Spaß - und ein gutes Konzert obendrein
Stadionkonzerte können eine Qual sein. Ungemütlich, irre teuer, und anstatt das Bühnengeschehen zu verfolgen, starrt man auf Leinwände, um wenigstens irgendetwas zu sehen. Und doch ist es nichts weniger als ein beglückendes, stellenweise geradezu magisches Erlebnis, den Rolling Stones, diesem britischen Weltkulturerbe, anlässlich ihres 60. Geburtstags im baufälligen Prateroval bei der Arbeit zusehen zu können.
Klar, bei über zwei Stunden Spielzeit stellen sich schon auch Fragen - ein Altherren-Beglückungs-Bob-Dylan-Cover gleich in der Eingangsphase, echt jetzt? -, vor allem aber sorgt so ein Stones-Konzert anno 2022 für Staunen: Wie bekommt diese von zwei knapp 80-Jährigen und einem 75-Jährigen getragene Band eine derartige Energie und Vitalität hin? Woher rührt diese ungebrochene Spielfreude? Welches Elixier haut sich Mick Jagger allmorgendlich ins Müsli, dass er nach wie vor singt wie ein junger Gott und bei Bedarf tanzt wie ein mittelalter Michael Jackson? Sympathisch und zum Schmähführen aufgelegt ist er obendrein, gern spricht er in holprigem Deutsch zum Publikum, erzählt etwa vom Abend davor im Schweizerhaus ("Sakkertort! Apfälstrud!") und der Nacht beim Würstelstand ("some Ottäktringä!"). Fazit: Er liebe Wien, seiner Figur aber schade die Stadt: "Meine diet ist kaputt!"
Verkündet Keith Richards, größte lebende Verkörperung der langsam verblassenden Trias Sex, Drugs & Rock 'n'Roll, dann breit grinsend, wie sehr er sich doch freue, wieder auf Tour zu sein, weil das doch das Allerbeste sei, klingt das kein bisschen nach Phrase. Nach Abschied fühlte sich dieser Abend definitiv nicht an. Und wer weiß: Vielleicht trotzt diese Band ja noch eine weitere Dekade allen Gesetzen der Schwerkraft?