Mörder-Lauf à la Naomi Campbell

Der US-amerikanische Tänzer und Choreograf Trajal Harrell verwandelt Impulstanz mit seinem Stück "The Köln Concert" gegen Festivalende in einen Laufsteg

NATHALIE GROSSSCHÄDL
FALTER:WOCHE, FALTER 31/22 vom 03.08.2022

Mode ist ein wichtiger Bestandteil von „The Köln Concert“ (Foto: Reto Schmid)

In der Pandemie war Abstand das Gebot der Stunde. Dabei sind wir gerade in Krisen nähebedürftig. Körperliche Verbundenheit ohne Berührung beschäftigte auch Trajal Harrell. Der 1973 in Georgia geborene Tänzer und Choreograf entwickelte das Stück "The Köln Concert", benannt nach der berühmten Jazzplatte des Pianisten Keith Jarrett, für das Zürcher Schauspielhaus; nun kommt er damit samt neuer Compagnie nach Wien.

Joni Mitchells helle Stimme singt über die Vergänglichkeit der Liebe. Harrell, der wie meist in seinen Stücken selbst auf der Bühne steht, windet sich in einem Negligé zur Musik, der Gesichtsausdruck leidend. Mitchell ist, wenn man so will, die Vorband für "The Köln Concert", das als meistverkaufter Jazztonträger aller Zeiten gilt. "Jarretts Mischung aus Klassik, Jazz und Gospel oder die Songtexte von Joni Mitchell treffen mich stets aufs Neue tief im Herzen", erklärt er seine Musikauswahl.

Während das Publikum durch den traumwandlerischen Wohlklang eingelullt wird, bewegen sich zwei Tänzerinnen und fünf Tänzer in schwarzen Jerseyroben zwischen Klavierstühlen, den einzigen Requisiten auf der Bühne. Es scheint, als suchten sie ein Miteinander, ihnen gelingen aber bestenfalls synchrone Bewegungen. Einmal motiviert mit kraftvoll schwingenden Armen, dann wieder torkelnd wie gebeutelt vom Leben. Vordergründig wird Corona im Stück nicht zum Thema, "aber es ist in einem historischen Moment entstanden", erinnert Harrell.

Aus der Geschichte des Tanzes fließen Modern Dance und postmoderner Tanz ein. Harrell verbindet in seinen Arbeiten Voguing stets mit Gesten des Butoh. Ab den 1960ern in den Clubs von Harlem entstanden, ist Voguing ein Stil, in dem Menschen aus queeren, afro- und lateinamerikanischen Gemeinschaften tanzend andere Identitäten annahmen und parodierten.

Der japanische Butoh wiederum strebt nicht wie westliche Tänze nach jugendlicher Potenz, sondern stellt Verletzlichkeit und das Sterben ins Rampenlicht. "Diese Stile bilden einen theoretischen Rahmen für meine Denkweise über Tanz und Ästhetik", sagt Harrell, der eine Woche vor seinem Gastspiel bei Impulstanz mit seiner Compagnie noch auf einem Festival in Japan aufgetreten ist.

Der Choreograf, bekannt für seine dekonstruktive Gender-Auffassung, lässt im "Konzert" Männer das Laufen von Mannequins auf dem Catwalk imitieren. Abgeschaut hat er sich das von Supermodels der 1990er wie Naomi Campbell und Gisele Bündchen, erzählt der 49-Jährige. Mittlerweile zeigen seine Tänzer:innen aber eigene mördermäßige Catwalk-Moves. Nämlich? "Eine Runway-Diva lüftet niemals ihr Geheimnis!", sagt er verschmitzt.

Jedenfalls posen sie im Pelzmantel, in einer Art Uniform oder in Strümpfen. Die Kostüme sind eine Mischung aus deren privaten Kleiderschränken und Highfashion-Teilen. "Kleidung ist eine Möglichkeit, nicht nur den Körper zu gestalten, sondern sich auch Rollen und Identitäten anzueignen", sagt Harrell.

In Wien fühlt er sich inzwischen "wie zuhause". Kein Wunder, tritt Harrell doch seit 2006 regelmäßig bei Impulstanz auf. "Ich bin mit dem Festival gewachsen", meint er sentimental.

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"The Köln Concert": Volkstheater, Fr, So 21.00

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