Vergessene Kinder
Schlimm genug, wenn ein Kind schwer erkrankt. Aber für manche Eltern bedeutet eine lebensbedrohende Diagnose auch existenzielle Sorgen. Nicht alle, die ihre Kinder pflegen, bekommen ausreichend Unterstützung
Illustration: Oliver Hofmann
Am 11. März 1938 ist Martin Karplus wütend. Eigentlich ist für diesen Freitagabend seine Geburtstagsfeier geplant, am 15. März wird er acht Jahre alt. Doch stattdessen sitzen die Eltern im Wohnzimmer des Döblinger Einfamilienhauses und hören Radio. Der österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg gibt seinen Rücktritt bekannt, das Bundesheer wird keinen Widerstand leisten, wenn am nächsten Tag die deutsche Wehrmacht einmarschiert.
Seinen achten Geburtstag vier Tage später verbringt Martin Karplus im Zug in Richtung Schweiz. Dort bleibt die Wiener Familie einige Wochen, dann fliehen sie weiter nach Frankreich und schließlich in die USA. Am 8. Oktober 1938 erreichen sie Ellis Island, die Einwanderungsbehörde vor New York.
Die Voraussicht der Eltern, die schon vor dem "Anschluss" Englischunterricht und Auswanderungsvisa organisieren und einen "Skiurlaub" in die Schweiz buchen, rettet die jüdische Familie. "Hätte ich nicht fliehen müssen, wäre ich wohl Arzt geworden", sagt Karplus.