Besser als Fernsehen

Die freien Gruppen toxic dreams und Die Rabtaldirndln liefern einen echt faken Hausfrauenwettstreit auf der Theaterbühne

MARTIN PESL
Lexikon, FALTER 42/22 vom 19.10.2022

Falsche Hausfrauen: links aus Wien (vorne: Anat Stainberg), rechts aus Graz (vorne: Gudrun Maier) (Foto: Nikola Milatovic)

Du bist eine Lügnerin, du bist krank, du bist eine Alkoholikerin", sagt ein Rabtaldirndl zum anderen. "Schon als kleines Mädchen hab ich davon geträumt, einen Schönheitschirurgen zu heiraten", entgegnet dieses völlig zusammenhanglos und lacht schrill.

Haushaltsführende Gattinnen reicher Männer ziehen übereinander her, die Kamera ist stets dabei. Das ist "The Real Housewives of ": Das populäre Reality-TV-Format stammt aus den USA und wurde seither in vielen, meist englischsprachigen Ländern kopiert.

In Österreich kommt es dafür auf die Bühne. Der Autor und Regisseur Yosi Wanunu hat nach dem Prinzip des "Frankenbiting" Soundbites aus einzelnen Folgen genommen und wie Victor Frankenstein zu einem Monster zusammengesetzt.

Genauer gesagt zu drei Monstern. In "The Unreal Housewives of Vienna vs. The Unreal Housewives of Graz", ab Freitag im Brut zu sehen, erlebt man zuerst eine Folge mit der Gruppe Rabtaldirndln in deren eigener Übersetzung ins Steirische, dann eine englischsprachige Episode mit Stammspielerinnen von Wanunus Gruppe toxic dreams aus Wien.

Der dritte Teil schließlich bietet den ultimativen Kampf der falschen Hausfrauen. Es ist ein Gesangswettstreit. "Ich liebe Musicals", sagt dazu Yosi Wanunu, der heuer mit "The Dead Class" schon ein düsteres Musiktheater geschrieben und inszeniert hat. ",The Unreal Housewives ' ist die letzte Arbeit unseres vierjährigen Zyklus ,Real Fiction'.

Nichts ist realitätsferner als Oper. Das wollte ich auf der Bühne erkunden."

2022 ist ein gutes Jahr für toxic dreams. Die Truppe rund um Wanunu und die Produzentin Kornelia Kilga feiert ihr 25-jähriges Bestehen. Sie startet schon diesen Dezember ihren nächsten thematischen Zyklus, mit dem Titel "Rashomon". Beim Nestroy-Preis hat sie heuer eine weitere Nominierung eingestrichen, und ihr wurde ganz frisch der Österreichische Kunstpreis des Kulturministeriums zugesprochen - 15.000 Euro, immerhin.

Yosi Wanunu gibt sich davon ungerührt: "Die Künstler sollen ihren Scheiß machen, Politik und Kunstbürokratie sollen Preise vergeben. Danke für die Anerkennung, das Leben geht weiter." Lieber wäre ihm gewesen, sein Kollektiv hätte im letzten Vierteljahrhundert nicht ständig um Spielorte kämpfen müssen. toxic dreams hätten gern ein Theater geleitet: "Wir haben die Leute, das Wissen und den Willen."

Wanunu wünscht sich eine Rückbesinnung auf das Wesen der Off-Kunst: "Wir müssen die Verteilung der Mittel überdenken, mit einem Schwerpunkt auf den Prozess, die Kontinuität, Fairness, Lokalbezug und Lebensstandard."

Kontinuität im Prozess leben toxic dreams konsequent. Angelehnt an die Vierjahresförderungen der Stadt Wien plant die Gruppe alle vier Jahre inhaltliche Zyklen und bringt pro Saison mindestens zwei Neuproduktionen heraus. Der aus Israel stammende Wanunu ist dabei stark inspiriert von amerikanischem Humor und Unterhaltungsfernsehen. Seine auf drei Abende verteilte Sitcom "The Bruno Kreisky Lookalike" über einen Werbestar, der aussieht wie der ehemalige SPÖ-Bundeskanzler, gewann 2019 den Nestroy als beste Off-Produktion.

Auch wenn die Themen lokal verortet sind, gehört der Wortwitz im Englischen zu Wanunus großen Stärken. Beim neuen Stück verzichtet er darauf schweren Herzens: "Ehrlich gesagt war ich oft versucht, den Text zu ändern oder einen Schmäh einzufügen. Aber ich habe mich zurückgehalten und alles im Original belassen."

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Lediglich die steirische Version liefert durch die Übersetzung etwas kreativen Spielraum. "Sogar die Songs stammen von echten Housewives, die eine Gesangskarriere begonnen haben. Nicht einmal die lustigen Stellen sind also mein Verdienst."

Entwicklung passiert auf der Bühne keine. Was an der Oberfläche nach Realismus aussieht - wie bei Henriks Ibsens "Nora", die Wanunu als Beispiel nennt -, ist in Wahrheit ein Stück absurdes, ja dadaistisches Theater. Genau darin liegt, ähnlich wie bei den vermeintlich realen "Housewives", die Faszination.

Dass Yosi Frankensteins Monster ein Eigenleben entwickelt hat, zeigten im Juni erste Aufführungen in Graz. Nun steigt in Wien das Rückspiel zwischen den Unreal Housewives, das auch ein bisschen ein freundschaftlicher Kampf der etablierten freien Gruppen ist - die Rabtaldirndln gibt es immerhin schon seit 15 Jahren.

Ob es Gewinnerinnen geben wird? Im Publikum jedenfalls. Wanunu zitiert dazu Andy Cohen, den Schöpfer der Original-"Housewives", demzufolge man bei Reality-TV "manchmal etwas lernt, aber immer unterhalten wird". Warum sollte das beim Fake-Reality-Theater anders sein?


„The Unreal Housewives …“, Brut nordwest, Fr–So, Di–Fr 20.00

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