PETERS TIERGARTEN
Wer ist hier der Esel?
Peter Iwaniewicz baut den Eseln eine Brücke

Zeichnung: Georg Feierfeil
Ich durfte aber von der Himbeermarmelade erst naschen, wenn ich ,asinus' (Anm.: Esel) gesagt hatte, vielleicht das einzige Latein, über das der Onkel gebot, jedenfalls das erste, das über meine Zunge kam und sich mir mit Hilfe des süßen mnemotechnischen Mittels tief einprägte", schrieb der Literaturnobelpreisträger Paul Heyse in seinem Buch "Jugenderinnerungen und Bekenntnisse".
Ich wäre dafür, dass diese bildungsbürgerliche Erziehungsregel auch auf Weihnachtsmärkten gelten sollte und man "asinus" vor jedem Schluck des klebrig-süßen Punschfusels ausrufen muss. Vermutlich gibt es nicht nur unter Freunden des gepunschten Alkohols Menschen, die die Klimaaktionen junger Aktivisten zumindest für eine Eselei halten oder eine fatale Symbolik verorten, wenn man dadurch "Menschen willkürlich, wenn auch nur für eine halbe Stunde, in ihren Autos festsetzt, bis sie ausflippen".
Im Falter.maily #956 verstand Florian Klenk, dass in Linz Bauarbeiter die auf einer Straße angeklebten "Klimabobos" niederbrüllten: "I muaß hackeln fahren, verstehst du des ned?" Möglicherweise wurde da noch immer nicht verstanden, wer das Problem der Klimaaufheizung verursacht. Das sind eben jene, die immer noch meinen, jederzeit das Recht auf freie Fahrt zu haben. Ändern müssen sich doch bitte schön immer nur die anderen. Das erinnert an jene Autofahrer, die sich lauthals über den Stau, in dem sie stehen, beschweren, aber nicht erkennen, dass sie dieses Problem gerade mitverursachen. "Asinus!", möchte man diesen da zurufen.
Aber das wäre unfair dem Esel gegenüber, der zu Unrecht als Verkörperung eines dummen Tieres gilt. In Stresssituationen fliehen Pferde, Esel hingegen bleiben stehen, was ihnen den Ruf dummer und störrischer Tiere eingetragen hat. Diese Reaktion der Esel ist aber sinnvoll, da sie evolutiv an schroffes Ödland und felsiges Gebirge angepasst sind. Sie prüfen sehr genau, wohin sie treten, um Stürze zu vermeiden. Pferde, als Bewohner offener Steppen, können vor Bedrohungen einfach weglaufen, für Esel würde eine planlose Flucht in schwierigem Gelände zum sicheren Tod führen.
Im Märchen von den Bremer Stadtmusikanten ist es von den ebenfalls vom Tod bedrohten Weggefährten Hund, Katze und Hahn nur der Esel, der die Initiative ergreift und den anderen Tieren eine Zukunftsperspektive aufzeigt: "Etwas Besseres als den Tod finden wir überall."
Wir brauchen mehr solche Esel, die nicht wie die 68er-Generation "Revolution" rufen, sondern "Transformation" fordern.