Die neuen Taferlklassler
Sieben von zehn Geflüchteten, die in Österreich bleiben dürfen, können das lateinische Alphabet nicht. Was passiert mit ihnen?
Es ist der erste August des vergangenen Jahres, als der im Polizeigefangenenhaus Roßauer Lände einsitzende afghanische Schubhäftling R.A., nach eigenen Angaben 24 Jahre alt und angeblich ein Hazara, noch einen letzten Versuch unternimmt, seiner Abschiebung ins kriegsgebeutelte Afghanistan zu entkommen.
Der verurteilte Dealer beauftragt die „Deserteurs- und Flüchtlingsberatung“ in der Wiener Schottengasse, einen Eilantrag nach Straßburg zu faxen, zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Es gehe, schreiben sie sinngemäß, um Leben oder Tod. Seine Abschiebung sei zu stoppen. Sofort.
Es geschah, was R.A. und seine Berater wohl nie erhofft hätten: Die Richter des Menschenrechtsgerichts stoppten die Abschiebung per Eilverfügung, es drohe „unwiederbringlicher Schaden“ und eine Verletzung des Rechts, keiner unmenschlichen Behandlung unterworfen zu werden. Auch ein illegal in Österreich lebender Dealer hat Menschenrechte. Was die Beschwerdeführer und wohl auch Straßburgs Richter nicht wussten: Die Abschiebung war eine Spezialoperation, die der heutige Bundeskanzler und damalige Innenminister Karl Nehammer, ÖVP, bei seinem deutschen Amtskollegen Horst Seehofer, CSU, angestoßen hatte. Und zwar aus „innenpolitischen Gründen“, wie es in einer brisanten Aktennotiz aus der deutschen Botschaft in Wien heißt.