DAS ALPHABET DES JAHRES 2022
2022 verdrängten die Kriegs-die Pandemievokabel. Ein Rückblick auf die Schlüsselwörter in den öffentlichen Debatten
PETERS TIERGARTEN
Zeichnung: Georg Feierfeil
Ab dem 35. Lebensjahr stellt man sich am Jahresende die Frage, welche kommenden Trends man in Zukunft besser auslässt. Ich orientiere mich dazu gerne an der jeweils neuen Kollektion der Themen-Wandkalender.
Auch hier wird sichtbar, dass die Klimaaufheizung verstärkt zu textilfreiem Arbeiten in der Landwirtschaft wie auch der Automobilbranche führt. Die Beschreibung des Kalenders "Stallburschen" weist darauf hin, dass "alle Bilder mit einem hohen Anspruch an die Authentizität der Arbeiten des Stallburschen erstellt worden sind". Okay. Ich wusste nur nicht, dass diese Tätigkeiten offenbar nur nackt glaubhaft ausgeführt werden können.
Eine spannende Kombination bietet der Kalender "Dackel, Girls and Cars", in dem "zwischen V8-Motoren und Rally-gewinnenden Autos sich Dackel und bezaubernde Models tummeln". Die Aufnahmen eröffnen mir neue Dimensionen der Erotik, aber zum Glück sind Frauen wie Hunde unbekleidet und können sich ihre Wäsche nicht an öligen Fahrzeugen schmutzig machen. Sprachlich etwas schmutzig erscheinen mir auch manche Kalender: Die thematisch fokussierte Bildsammlung für 2023 "Kackende Hunde" stellt letztlich doch andere Ausscheidungen und Körperteile in den Mittelpunkt: "Zaubere deinen Freunden ein paar Lachtränen ins Gesicht." Der Jahresplaner "Rute raus, der Spaß beginnt" will uns wiederum die "schönsten Angelreviere" mit frivolen Sprüchen näherbringen.
In dunkle Ecken der Erotik begibt man sich mit dem Wandkalender "Hintern der Natur". Hier werden Bäume, Felsen und Pflanzen abgebildet, die mit etwas Fantasie an die Anatomie der menschlichen Gesäßmuskulatur erinnern. Psychologen bezeichnen das Phänomen, in Dingen vermeintlich Gesichter zu erkennen, als Pareidolie. Ein Fachbegriff für diese Fehldeutungen ist mir aber nicht bekannt.
Beim "Tischkalender für alle Mett-, Fleisch- und Grill-Liebhaber" bin ich mir nicht sicher, ob es sich dabei um eine mir bislang unbekannte Form eines sexuellen Fetischismus handelt: "Retuschierte Frauen sind out, es ist Zeit für wahres Frischfleisch!" Beruhigend fand ich den aufgedruckten Hinweis, dass zumindest der Kalender klimaneutral gedruckt wurde.
Zoologisch wird das nächste Jahr jedenfalls spannend: Im Kalender "Hamster, Eichhörnchen, Zwiesel in Nahaufnahme" scheint durch Paarung des Raubtiers Wiesel mit dem Pflanzenfresser Ziesel eine neue Tierart, das Zwiesel, mitten in Europa entdeckt worden zu sein!
2023 kann nur gut werden, Prosit!