Ohren auf: Miles live in Europe

Heftig und breit, einmal geht's noch: "Round Midnight"

KLAUS NÜCHTERN
Feuilleton, FALTER 04/23 vom 25.01.2023

Für viele US-Jazzmusiker war Europa ein sicherer Hafen, mitunter sogar eine freundlichere, weil weniger rassistische Heimat. Miles Davis etwa wurde in Paris auf Händen getragen (und hatte dort eine unglückliche Affäre mit der Sängerin Juliette Grecó). Knapp zwei Stunden Live-in-Europe-Aufnahmen diverser Quintette sind nun auf zwei Alben der "Revisited"-Reihe des Labels ezz-thetics erschienen.

In ganz ähnlicher Besetzung wie dem berühmten "Kind of Blue"-Line-up sind Titel wie "So What" und "All Blues" auf "Miles Davis Live in Europe 1960" zu hören, bloß eben in episch-energetischen Konzert-Versionen, wobei der Tenorsaxofonist John Coltrane klar erahnen lässt, wohin seine musikalische Reise geht (Richtung Free Jazz nämlich). Auf allen fünf Tracks hat Miles das erste Solo - eindrucksvoll der Wechsel von der gestopften auf die trichterlose Trompete auf "All Blues" -, bei der Pariser Version soliert er sogar etwas länger als der geradezu schaumgebremst einsteigende Coltrane, der indes schon nach einer Minute auf 180 ist.

Die Einspielungen des sogenannten "zweiten Quintetts" aus dem Jahr 1967 überraschen mit einer ziemlich heftigen Interpretation von Thelonious Monks Jahrhundertballade "Round Midnight", die Miles zu dieser Zeit kaum noch im Repertoire hatte. Die späteren Mitschnitte auf "Miles Davis Quintets Stockholm Live 1967 & 1969" dokumentieren den ersten Schritt in Richtung "Elektrifizierung" und enthalten eine rare Fassung von "Bitches Brew" in kleiner Besetzung mit Chick Corea am E-Piano. Dessen Komposition "This" bildet den Abschluss -"freejazziger" hat ein Miles-Davis-Quintett nie geklungen. Und dass Wayne Shorter (entgegen den Angaben der Besetzungsliste) hier nicht das Tenorsondern das Sopransaxofon bedient, ist nun wirklich nicht zu überhören.

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