Hoch zu Ross

Die Wahlen in Niederösterreich zeigen, wie stark die FPÖ geworden ist. Wer Parteichef Herbert Kickl ist und wieso ihn Bundespräsident Alexander Van der Bellen nicht zum Kanzler machen will

Nina Horaczek, Florian Klenk, Barbara Toth
Politik, FALTER 5/2023 vom 31.01.2023

Wahlen gewinnt man nicht allein. Deshalb hatte auch Herbert Kickls FPÖ in Niederösterreich viele heimliche Wahlkampfhelfer. Die ÖVP, die ihm das Asylthema aufwärmte und ihm damit 33 Prozent seiner Wähler schenkte. Die SPÖ, die einen miserablen Klamaukwahlkampf hinlegte. Und dann bekam er auch noch ein bisschen Wahlhilfe vom Staatsoberhaupt.


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Drei Tage vor der niederösterreichischen Landtagswahl hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen die FPÖ-Wählerschaft noch einmal so richtig provoziert. Kickl, so richtete der Bundespräsident der Öffentlichkeit kurz vor seiner zweiten Angelobung aus, werde wohl nie Kanzler. Denn: „Eine antieuropäische Partei, eine Partei, die den Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht verurteilt, werde ich nicht durch meine Maßnahmen noch zu befördern versuchen.“ Er sei ja nicht nur der Verfassung, sondern auch seinem Gewissen verpflichtet, erklärte der Präsident, so laute die Gelöbnisformel.

Das waren in ihrer Deutlichkeit ungewohnte Töne für Van der Bellen. Eine Partei, die sich gegen die EU positioniert, darf keinen Kanzler stellen? Eine Partei, die sich gegen Waffenlieferungen und Sanktionen gegen Russland stellt, soll nicht regieren, selbst dann, wenn die Mehrheit der Österreicher das so will? Bundespräsident Thomas Klestil (ÖVP) hatte im Jahr 2000 nur seine eiskalte Miene aufgesetzt, als er die FPÖ angelobte. Van der Bellen aber sagte klar: „Mit mir nicht!“ Die neuerliche Angelobung des Bundespräsidenten tags darauf im neu eröffneten Parlament nutzten die Blauen daher zum Protest. Kickl und die Seinen verweigerten Van der Bellen den Applaus.

Wer ist dieser Herbert Kickl, der selbst dann nicht Bundeskanzler werden soll, wenn er – wie es nach derzeitigen Umfragen aussieht – die Nationalratswahl gewinnen würde? Wieso steckt Van der Bellen genau bei ihm die Grenze des Verfassungsbogens ab? Würde eine Kanzlerschaft tatsächlich unsere liberale Gesellschaftsordnung gefährden? Oder wird hier ein freiheitlicher Spitzenpolitiker dämonisiert und dadurch erst so richtig groß gemacht?

Herbert Kickl hat eine ungewöhnliche Biografie: Er war ein Arbeiterkind und Philosophiestudent, einst Jörg Haiders unbekannter Redenschreiber und dann Agitator auf offener Bühne. Er wird als Hetzer gefürchtet und war jener Innenminister, der sein eigenes Haus so beschädigte, dass Europas Geheimdienste nicht mehr kooperieren wollten. Er gilt als Rechtsextremist und rabiater Sozialpolitiker. Er gibt sich aggressiv, lebt aber zurückgezogen im Privaten. Er gibt sich bescheiden und war doch – zumindest zeitweise – politischer Großverdiener mit mehr als einem Einkommen.

Kickl tickt, so viel steht fest, anders als seine Vorgänger Jörg Haider und Heinz-Christian Strache. Er ist weder Partytiger noch Burschenschafter, er ist kein Mitglied der Buberlpartie und kein alter Recke.

Er selbst definierte sich und seine blaue Zielgruppe schon im Jahr 2015 als die „Normalen“. Genau diese möchte er mit seinen FPÖ-Kampagnen erreichen, erklärte er damals im Gespräch mit dem Falter, „das sind die Leut’, für die es noch einen Unterschied zwischen Mann und Frau gibt, die finden, der Staatsbürger soll noch etwas zählen, für die der Begriff Pflicht nichts Verwerfliches ist“. Sein Vorbild Jörg Haider hatte Mitte der 1990er-Jahre, als die FPÖ ihren ersten Höhenflug hatte, noch die „Anständigen, Fleißigen, Tüchtigen“ zur Zielgruppe erkoren.

Kickls Stärke ist seine Rhetorik. Er zählt zu den besten und gleichzeitig brutalsten Rednern im Parlament, ist undurchschaubar und in Interviews schwer zu bändigen – und vielleicht macht ihn gerade das so gefährlich. „Wenn eine Partei ein Schiff ist, dann bin ich lieber im Maschinenraum als beim Captain’s Dinner“, erklärte Kickl einmal, „denn unter der Wasserlinie ist der Torpedoraum.“

Aber jetzt steht er, um bei seinem Bild zu bleiben, auf der Brücke und hat zugleich die Kontrolle über den Torpedoraum – und keiner kann so recht nachvollziehen, wie es so weit kommen konnte. Vielleicht muss man also noch einmal ganz zurückspulen, um zu verstehen, wer Kickl eigentlich ist.

I. Der junge Kickl

Herbert Kickl wird 1968 in Villach in eine Arbeiterfamilie geboren. Er wächst in der Siedlung der österreichisch-amerikanischen Magnesit-Gesellschaft Radex auf, die ihre Fabrik in der damals tiefroten Kärntner Gemeinde Radentheim bei Spittal an der Drau hatte. Der Vater kickt in der Werksportgemeinschaft in der ersten und zweiten Liga. „Zuhause haben wir nie politisch diskutiert“, vertraut Kickl einmal dem Monatsmagazin Datum an. Nach Ende seiner Sportkarriere betreibt der Vater gemeinsam mit seiner Frau ein Lebensmittelgeschäft auf dem Werksgelände.

Als Heranwachsender erlebt Kickl, wie ein junger rechter Provokateur namens Jörg Haider mit einer neuen, aggressiven Form der Politik in den späten 80ern die rote Arbeitersiedlung auf Blau umfärbt. Haider, Sohn von Nazis, kämpft gegen „das System“ und für die „Dritte Republik“. Kickl gefallen Haiders Sprüche und Plakate. Das war ein „ganz neuer Stil“, die Politik Haiders war „rotzfrech in der Ansage. Das war ein Zugang, wo ich dann gesagt hab: ,Das ist etwas, was es noch nicht gegeben hat‘“, erinnert er sich später.

In Kickls Schulklasse sitzt damals übrigens ein Mädchen namens Eva, die spätere Grünen-Parteichefin Glawischnig, mit der er sich als Schulsprecher abwechselt. Er liest Karl Marx, gilt als Alternativer und als „exzellenter Schüler, sehr vif und sehr beliebt“, wie Glawischnig ihren Schulkollegen von damals beschreibt. Etwas behält sie bis heute in Erinnerung: seine Army-Hosen, damals Kickls liebstes Kleidungsstück. Auch heute tritt er gerne im militärischen Olivgrün auf, etwa auf Plakaten, auf denen er eine „Festung Österreich“ fordert.

Als Schüler träumt Kickl tatsächlich von einer Karriere als Elitesoldat beim Militär. Nach der Matura 1987 dient er als Einjährig-Freiwilliger bei den Gebirgsjägern in Spittal. Das Fasziniertsein vom Grenzgängertum bleibt. „Also wie es jemand aushalten kann, eine halbe Stunde in einem Eiswasser zu sein, ohne verrückt dabei zu werden, das ist faszinierend“, erinnerte er sich in einem Interview. Bis zu zehn Stunden pro Woche trainiere er, er schwärmt vom Joggen vor Sonnenaufgang, weil er da den Kopf freibekommt, auf Instagram postet er Bergtouren und Kletterpartien auf steilen Gebirgsfelsen.

Er ist nicht nur Extremist, sondern auch ein Mann der Extreme. 2013 und 2014 tritt Kickl beim Celtman Xtreme Triathlon im Norden Schottlands an, schwimmt 3,4 Kilometer im knapp zwölf Grad kalten Wasser und schafft es unter die besten 60. Bis heute zieht es ihn ins Hochalpine. Einmal, so erzählt er einem Boulevardblatt, sei er sogar in eine Gletscherspalte gefallen.

Den Berufswunsch Soldat verwirft Kickl gleich nach seinem Wehrdienst bei den Gebirgsjägern. Ende der 80er-Jahre zieht er nach Wien, inskribiert zuerst Politikwissenschaft und Publizistik, wechselt aber bald zur Philosophie und findet sich dort in der intellektuellen Minderheit wieder, wie er selbst einmal erzählte.

Aus dem Einzelgänger wird ein Querdenker, der sich in der Rolle des Rufers in der Wüste zu gefallen beginnt: „Am Institut waren die Linken überrepräsentiert“, sagt er, „deutscher Idealismus als Schwerpunkt – da kann man sich eh vorstellen, wie man aufgenommen wird in einem Umfeld, das Genderphilosophie und Ähnliches betreibt.“ Das Studium schließt er nie ab, seine Diplomarbeit über „Die transzendentale Deduktion der Kategorien und Bewusstseinskapitel in Hegels Phänomenologie“ bleibt unvollendet.

Den Philosophen lässt der FPÖ-Chef bis heute gerne herausblitzen. In der frisch eröffneten Parlamentsbibliothek hat er, wie alle Klubobleute, fünf Bücher als Leseempfehlung ausgestellt. Kickl stapelt Friedrich Schiller, Victor Hugo, Immanuel Kant, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Jean-Jacques Rousseau auf. Zuvor, als Innenminister, hatte er sogar eine kleine Holzkiste in sein Büro gestellt, darin antiquarische Ausgaben der großen deutschen Philosophen und auch des Griechen Platon – in Frakturschrift, wie er betonte. So fühle er sich „der Ära dieser großen Denker näher, dem Gefühl von Öllampe in finsterer Kammer, Feder und Tintenfass“.

Öllampe wird er wohl keine im Schlafzimmer stehen haben. Dafür aber ein Notizbuch auf dem Nachtkästchen. Denn die besten politischen Sprüche würden ihm immer in der Nacht einfallen, erzählte er dem Falter.

Das war im Jahr 2005, kurz nachdem er freiheitlicher Generalsekretär geworden war. Zehn Jahre lang hatte er bis dahin im Hintergrund des damaligen FPÖ-Chefs Jörg Haider Gags, Reden und Slogans formuliert, als Angestellter des Freiheitlichen Bildungsinstituts, wo er sich 1995 mit den Worten „Ich kann nix, aber ich kann alles lernen“ beworben haben soll, wie ein Weggefährte einmal erzählte.

Kickl lernte bei Haider, wie man provoziert. Als die Haider-FPÖ mit dem damaligen ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel im Februar 2000 die erste blau-schwarze Regierung bildet, verhöhnt er den damaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac als „Westentaschennapoleon“, weil dieser die Rechtskoalition in Österreich kritisierte. Ariel Muzicant, damals Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde, wurde von Haider mit Kickls Worten diskreditiert: „Ich verstehe nicht, wieso einer, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken hat.“

Antisemitismus? Aber woher denn! Man wird ja wohl noch sagen dürfen.

Kickls Zeilen brachten die FPÖ-Wähler zum Lachen und die Freiheitlichen in die Schlagzeilen. Die Blauen steigerten die Dosis, wo sie konnten, Kickl war der Dealer des politischen Giftes. „Daham statt Islam“, „Deutsch statt nix verstehen“, „Asylbetrug heißt Heimatflug“ oder „Mehr Mut für unser Wiener Blut – zu viel Fremdes tut niemandem gut“: All diese Phrasen, plakatiert im ganzen Land, stammen aus Kickls Werkstatt. „Ich habe keinen literarischen Anspruch, aber Reime gehen besser ins Ohr, bleiben besser im Kopf“, erklärte er.

II. Kickl, der Politiker

So wenig Kickl schon als Student im linken Eck stehen wollte, so sehr faszinierten ihn die Kommunisten. „Die dialektische Schulung, wie sie linke Kader haben, das ist nicht schlecht“, bekannte Kickl vor einigen Jahren. Auch weltanschaulich habe er mehr mit Linken gemeinsam als mit irgendwelchen Turbokapitalisten: „Den Markt für sich selbst die Dinge in die Hand nehmen zu lassen, wie es eine Zeitlang in der Partei angedacht wurde, meistens von denen, die schon auf der privilegierten Seite sitzen, das halte ich für unanständig, politisch wie intellektuell“, sagte er.

Dass Kickl jahrelang auch FPÖ-Sozialsprecher im Parlament war, ist also kein Zufall. Das soziale Thema gefiel dem Arbeiterkind, allerdings spielte er zugleich auf der Klaviatur des Neides. Sein Sozialismus war und ist ein exklusiver und nationaler.

2008 provozierte er mit der Forderung, dass es Sozialleistungen – von der Familienbeihilfe bis zum Pflegegeld – nur noch für österreichische Staatsbürger geben solle. Ausländer sollten sich überhaupt ihre eigene Sozialversicherung finanzieren, forderte Kickl eine Art Sozialstaats-Apartheid. Bildungspolitisch setzte er in Wahrheit auf Segregation statt Integration: Kinder, die nicht ausreichend Deutsch sprechen, sollten Ausländerkindergärten besuchen, finanziert von den Eltern und nicht vom Staat.

Ausländer, „für die es keine Arbeitsplätze oder Wohnungen im Land gibt“, wie es im damals erstmals erschienenen „Handbuch freiheitlicher Politik“ stand, wollte er sofort abschieben, denn Gastarbeiter, die arbeitslos werden, „haben die Möglichkeit, im Heimatland Arbeit zu finden“. Und wer die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen bekam (und nicht durch Geburt erwarb), dürfe erst gar nicht straffällig werden, sonst drohen der Verlust des Passes und die Staatenlosigkeit. Menschenrechte, so formulierte es erst kürzlich der niederösterreichische Spitzenkandidat Udo Landbauer, sollten eben national gedacht werden – und nicht mehr universell.

Kickl trat im Jahr 2005 aus Haiders Schatten, auf dem Höhepunkt der ersten blau-schwarzen Koalition. Damals spaltete sich die Partei in einen eher moderaten Flügel – das regierende BZÖ unter Jörg Haider – und in die rechtsnationale FPÖ, angeführt vom ehemaligen Wehrsportler und Haider-Imitator Heinz-Christian Strache.

Kickl stand in der Mitte dieser Lager, sie warben beide um ihn. Straches Angebot, FPÖ-Generalsekretär zu werden und die damals auf wenige Prozent geschrumpfte Partei aufzubauen, reizte ihn offenbar mehr als Haiders Jobangebot in der Pressestelle der Partei. Haider wiederum verspottete Kickl: So genial sei er doch gar nicht.

Als freiheitlicher Generalsekretär war Kickl parteiintern zwar geschätzt, aber die Kameraden blieben auf Distanz. Er war keiner, mit dem man sich in der Freizeit gerne auf ein Bier traf. Das lag wohl auch daran, dass Generalsekretäre stets die unangenehmen Dinge erledigen müssen, während der Parteichef die positiven Nachrichten überbringen darf. Kickl trennte aber auch Parteijob und Privatleben streng, verabschiedete sich zu Strache-Zeiten oft dann nachhause, wenn andere mit dem Chef noch um die Häuser zogen. „Aus mir wird man keinen Disco-König machen“, sagte er einmal.

Er war – anders als Haider oder Strache – kein politischer Adabei. Selbst in Purkersdorf bei Wien, wo er seit 15 Jahren mit Frau und Sohn in einem unauffälligen Reihenhaus lebt, ist er so gut wie nie zu sehen. Nicht einmal zur Maturafeier seines Sohnes im Gymnasium vor Ort sei er gekommen, erzählt der ehemalige Purkersdorfer Bürgermeister Schlögl, einst Innenminister der SPÖ. Bei Kickls standesamtlicher Hochzeit im April 2018, bei der er als Bürgermeister routinemäßig wie jedem anderen Brautpaar der Stadt mit einem Gläschen Sekt gratulierte, fand sich Schlögl als einziger Gast abseits der Frischvermählten wieder.

III. Kickl, der Unternehmer

Aber ist Kickl wirklich so bescheiden, wie er sich gibt? Seit 2006 sitzt er im Parlament – über Jahre auch als Großverdiener. Neben seinem Abgeordnetengehalt kassierte Kickl mehr als 10.000 Euro pro Monat von der Wiener Landesgruppe der Freiheitlichen, für „Werbung, PR, Marketing, Kommunikation und Strategie“. Seit 2019 scheinen aber in der Transparenzdatenbank des Parlaments keine Nebeneinkünfte von Kickl mehr auf.

Im Jahr 2013 aber ermittelte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) im Rahmen der Kärntner Hypo-Pleite gegen einen engen Vertrauten Kickls, den Geschäftsführer und Gesellschafter einer Kärntner Werbeagentur namens Ideenschmiede. Mit Parteiwerbung und Aufträgen vom Land machte sie unter Haiders politischen Erben enorme Gewinne, die in den Bilanzen verheimlicht wurden, wie der Falter damals aufdeckte.

Die WKStA erhielt zu dieser Firma 2013 einen vertraulichen Hinweis eines Insiders, der behauptete, es gebe im Keller der Ideenschmiede Verträge, aus denen hervorgehe, dass Kickl – treuhänderisch über seinen Geschäftsführer – der Hälfteeigentümer der Firma sei. Außerdem gebe es eine Art Schmiergeldklausel: Sollte die Ideenschmiede Aufträge vom (bis 2004 von der FPÖ, dann vom BZÖ regierten) Land Kärnten erhalten, müsse sie 20 Prozent als „Provision“ an die FPÖ abtreten. Der Verdacht lautete also, dass Kickl – verdeckt über einen Strohmann – nicht nur an den durch Klubgelder finanzierten Wahlkämpfen der FPÖ mitverdiente, sondern auch von erhöhten Rechnungen ans Land Kärnten profitiert haben soll. Gelder der Ideenschmiede, so sagte es ein Mitarbeiter aus, seien dann „im Koffer“ nach Wien „außibracht“ worden. Ein Vorwurf, den Heinz-Christian Strache damals bestritt.

Die WKStA fand tatsächlich all diese Verträge mit jenen Inhalten in einem Keller der Ideenschmiede. Kickl, der von der Justiz als Zeuge und nicht als Beschuldigter befragt wurde, wies alle Anschuldigungen entschieden zurück. Die Treuhandverträge seien doch längst gekündigt, sagte er aus, er sei nicht Gesellschafter der Firma, habe damit nichts mehr zu tun. Entsprechende Schriftstücke legte er nicht vor, auch der zuständige Notar wusste nichts davon. „Alles sei mündlich erfolgt“, beschied Kickl später.

Die WKStA wollte gegen Kickl ermitteln, aber ein Antrag, ihn auszuliefern, wurde per Weisung des damaligen Sektionschefs Christian Pilnacek untersagt. Die Suppe sei zu dünn, beschied der (heute wegen Polit-Interventionen in der Ibiza-Affäre suspendierte) Spitzenbeamte. Ermittlungen wegen Bilanzfälschung und verbotener Kickbacks gegen die Ideenschmiede wurden 2019 eingestellt, zum Teil gegen Bußgeldzahlungen. Die Affäre versandete in Kärnten, obwohl der damalige Landesrat Uwe Scheuch ebenso verurteilt wurde wie der Strohmann Kickls.

Die Ideenschmiede, inzwischen auf Signs umgetauft, tauchte später wieder in den Schlagzeilen auf, als sie für die von Kickl geschaffene Grenzschutzeinheit Puma und die berittene Polizei die Logos entwirft – unentgeltlich, wie er versicherte.

Die Causa offenbarte einen für Kickl sehr typischen Zug: wendig und situationselastisch sein, um am Ende auf der sicheren Seite zu stehen. Kickls Ideenschmiede arbeitete damals nämlich sowohl für die FPÖ als auch für das BZÖ, die von Haider gegründete Konkurrenzformation. Wer sich durchsetzen würde, war noch unklar. Die Ideenschmiede-Episode passt auch so gar nicht in das Image der „Antikorruptionspartei“, das Kickl heute der FPÖ umhängen will. Im Gegenteil: Sie gab Einblicke in das System von parteinahen Agenturen und Vereinen, über die die Partei, aber vielleicht auch Parteimitglieder profitieren.

IV. Kickl, der Rechtsextremist

Ins Visier der Behörden kam Kickl damals auch aufgrund einer anderen Begebenheit. 2016 trat er als Redner beim Kongress der „Verteidiger Europas“ in Linz auf, einer rechtsextremen Veranstaltung, die sich der vermeintlichen „ethnokulturellen Verdrängung der europäischen Völker“ widmete. Der Verfassungsschutz schrieb seine Worte mit: „Es ist ein Publikum, wie ich mir das wünsche und wie ich mir das vorstelle“, begrüßte er die rechtsextreme Schar, denn, „es ist etwas ganz etwas anderes, wie wenn man im Parlament steht, dort redet und in diesen frustrierten und dauerbetroffenen linken Flügel der Roten und Grünen hineinschaut.“

Da blitzte sie nicht zum ersten Mal auf, seine Demokratieverachtung. Genau das gefällt jenen, die sich immer schon gegen „das System“ positionierten. Martin Sellner etwa, Aushängeschild der rechtsextremen Identitären, rief 2019 dazu auf, Kickl eine Vorzugsstimme zu geben. Während Norbert Hofer, Kickls Vorgänger als FPÖ-Parteichef, zumindest nach außen hin Distanz zu dieser rechtsextremen Splittergruppe hielt, lobte Kickl die Identitären als „interessantes und unterstützenswertes Projekt“.

Kickl hofiert nicht nur die Identitären, sondern auch rechtsextreme Medien wie etwa den oberösterreichischen Onlinesender Auf1. 200.000 Follower hat die Propagandaplattform auf Telegram, sie ist das Sprachrohr der Corona-Schwurbler-Szene. Im März vergangenen Jahres saß Kickl eine ganze Stunde im Auf1-Studio.

Kickls Affinität zu extrem rechten Medien ist nicht überraschend. Schon früh erkannte er nicht nur die Kraft der sozialen Netzwerke, die Fake News verbreiten – Kickl hat auf Facebook eine Viertelmillion Follower –, auch der Aufbau rechtsextremer parteinaher Medien, die solche Lügen erfinden, lag ihm besonders am Herzen: FPÖ-TV, Unzensuriert, aber auch der kürzlich eingestellte Wochenblick waren ihm ein Anliegen. Letzteres Medium unterstützte er mit Regierungsinseraten in der Höhe von mehr als 20.000 Euro. Und zwar, als Kickl endlich dort angelangt war, wo er Macht ausüben konnte: im Innenministerium.

V. Kickl, der Innenminister

Als der damalige ÖVP-Chef Sebastian Kurz 2017 die zweite schwarz-blaue Koalition schmiedete, wurde Kickl über Nacht Chef von 30.000 Polizisten – und ebenjenes Verfassungsschutzes, kurz BVT, der ihn in Linz sehr genau beobachtet hatte. Kickl misstraute dem Staatsschutz, denn der hatte nicht nur Burschenschafter und russische Agenten im Auge, sondern auch jene Identitären, die er so überschwänglich lobte.

Prompt zeigte Innenminister Kickl, wie er den Apparat umzubauen gedachte. Rechtsextreme Burschenschafter saßen plötzlich im Kabinett – etwa der niederösterreichische Landtagsabgeordnete Reinhard Teufel, der mit Sellner gerne chattete. Oder Alexander Höferl, Chefredakteur der rechtsextremen Fake-News-Schleuder unzensuriert.at, der gegenüber einer Undercover-Journalistin offen eingestanden hatte, Lügen zu verbreiten. Er wurde Kommunikationschef Kickls. Beide zählen bis heute zu seinen wichtigsten Vertrauten.

Mit einem Mal flossen Steuergelder für Inserate in rechte Hetzmedien, und eine ministeriumsinterne Anweisung an die Kommunikationsabteilungen der Landespolizeidirektionen forderte die Polizei auf, die Kommunikation mit kritischen Medien wie etwa dem Kurier, dem Standard oder dem Falter „auf das nötigste (rechtlich vorgesehene) Maß zu beschränken“. Medien, die positiv über Kickl berichteten, sollten hingegen „Zuckerln“ bekommen.

Doch die Attacke gegen die Pressefreiheit war nicht das größte Problem. Kickl installierte damals Peter Goldgruber, einen freiheitlichen Polizeipersonalvertreter, der auf Facebook Verschwörungstheorien verbreitete, als Generalsekretär im Ministerium. Dieser legte sich nicht nur eine Fantasieuniform zu, sondern orchestrierte eine der gefährlichsten Operationen, die das Innenministerium je gesehen hatte: die sogenannte BVT-Razzia.

Kickl wollte damals verhindern, dass der aktuelle BVT-Chef Peter Gridling verlängert wird. Und so kramte Goldgruber eine anonyme Anzeige voller Anschuldigungen und Verschwörungen aus der Lade. Eine WKStA-Staatsanwältin nahm das Papier – vermutlich verfasst von einem frustrierten BVT-Spitzenbeamten – und beantragte nicht nur eine Hausdurchsuchung, sondern auch die Beschlagnahme von hunderten Datenträgern genau jener Spitzenbeamtin, die das Rechtsextremismusreferat leitet.

Die Beamtin wurde gemobbt, Gridling – rechtswidrig, wie sich später herausstellte – suspendiert. Fast alle Vorwürfe fielen in sich zusammen, der Ruf des BVT war international zerstört. Westliche Geheimdienste verweigerten eine Kooperation – nicht zuletzt auch aufgrund der Kontakte der FPÖ zu Russlands Präsident Wladimir Putin. In Moskau hatten die Blauen ja 2016 einen „Partnerschaftsvertrag“ mit der Partei des russischen Machthabers geschlossen. Die freiheitliche Außenministerin Karin Kneissl lud Putin zu ihrer Hochzeit ein und wurde später mit einem Aufsichtsratsmandat beim russischen Mineralölunternehmen Rosneft und einem Job beim russischen Propagandakanal RT News versorgt.

Letztlich zeigte auch das Ibiza-Video, wie leicht es für vermeintliche russische „Oligarchennichte“ war, die FPÖ zu gewinnen.

Während Kickl das Ministerium beschädigte, provozierte er, wo er konnte. Der heutige FPÖ-Chef beherrscht Symbol- und Sprachpolitik, und er weiß, wie man Begriffe in seinem Sinne einsetzt. Asylaufnahmezentren benannte er in „Ausreisezentren“ um, er wollte Flüchtlinge in Lagern „konzentrieren“, er wünschte sich eine berittene Polizei. Die Aufnahmen von ihm, auf einem Polizeipferd sitzend, gingen viral. So freudestrahlend wie auf diesen Bildern ist Kickl selten zu sehen. Die Steuerzahler hatten weniger zu lachen: Mehr als 2,3 Millionen Euro kostete die Polizei-Reiterstaffel, die nach 18 Monaten auch schon wieder Geschichte war.

Als Innenminister spottete Kickl in seinen Reden weiterhin über jene, die dem Krieg in Syrien entkommen waren. Wenig überraschend fand er nie in die Rolle des Staatsdieners, stets blieb er Provokateur, bis ihn Van der Bellen nach Auffliegen des Ibiza-Videos auf Vorschlag des damaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz des Amtes enthob.

VI. Kickl, der Corona-Profiteur

Kickls FPÖ „stabilisierte sich“ nach der Wahl Ende 2019 bei 16 Prozent, wie er damals bei einer Wahlparty sagte. Die Pandemie zwei Jahre später bescherte Kickl endlich wieder den Jubel der Massen vor dem Rednerpult.

Anfangs, als das Coronavirus Österreich ganz frisch erreicht hatte, erklärte Kickl noch, Corona stehe für „Ungewissheit, Unsicherheit, Gefahr, Leid, Schmerz und Tod“. Als blauer Klubchef im Parlament forderte er damals sogar einen Total-Lockdown für das gesamte Land inklusive Grenzschließungen.

Doch dann entdeckte er die Wut der Corona-Kritiker und schwenkte – auch gegen heftigen internen Widerstand – radikal um. Er empfahl Entwurmungsmittel zur Therapie, beklagte die „Corona-Diktatur“ im Land und machte öffentlich Stimmung gegen Schutzmasken und Impfungen. Spätestens seit er im März 2021 mitten im Lockdown und ohne Maske im Wiener Prater vor den selbsternannten Corona-Rebellen auftrat, flogen ihm die Herzen zehntausender Impfgegner zu, darunter auch stadtbekannte Rechtsextremisten.

Corona, Verschwörungserzählungen über „Systemmedien“ und dunkle Mächte, das ist aber nicht alles im neuen Kickl-Repertoire. Er agitiert heute gegen „Klima-Chaoten“ und „Klima-Terroristen“, er verspottet die „Woke“-Kultur mit ihren Ideen von fluiden Geschlechtsidentitäten.

Und er hat damit, wie Ex-SPÖ-Innenminister Karl Schlögl meint, „bei allen großen politischen Themen, die die Menschen bewegen, derzeit ein Alleinstellungsmerkmal“. Der Vorzug der Strategie: „Keiner redet mehr über die blaue Korruption und den Ibiza-Skandal.“

Kickl, der Redenschreiber und Sprücheklopfer, Kickl, der Stratege und Wahlkampfmanager. Kickl, der Innenminister, der seinen eigenen Geheimdienst desavouierte. Und jetzt Kickl, der Kanzler in spe. Ob die Republik einen wie ihn aushält, ob ÖVP und SPÖ seinen Aufstieg stoppen können, darüber entscheiden die nächsten Monate bis zu den Nationalratswahlen spätestens im Oktober 2024.

Die Wählerschaft geht zum Kickl und nicht zur Mikl, das war die Lehre aus der Niederösterreich-Wahl. „Inflation und steigende Preise“, „Zuwanderung und Integration“ sowie „Korruption“: Das waren die wichtigsten Wahlmotive der blauen Wählerschaft.

Mit Parteichefin Rendi-Wagner scheint die SPÖ für Kickl keine ernstzunehmende Gefahr mehr zu sein. In fünf Jahren an der Parteispitze konnte die rote Parteichefin den Sozialdemokraten kein Profil verpassen, das die „kleinen Leute“ anzieht.

In der Stadthalle von Gänserndorf erntete Kickl bei einem Wahlkampfauftritt für seine Politik Jubelrufe. „Herbert! Herbert! Herbert!“, riefen die etwa 300 Fans. Kickl sagt ihnen mit balsamgetränkter Stimme, wie es ihm „warm ums Herz“ werde, denn er sei einfach „gerne inmitten von normalen, bodenständigen Leut’, wie ihr es seid“. Er sei der Garant „dafür, dass unsere Kinder wieder lachen können, weil sie wieder eine Zukunft haben“.

Da war nicht nur Hass, nicht nur Attacken gegen andere Parteien, denen er, wie er es einmal formulierte, „einen Schlag aufs Hosentürl“ geben wollte. Sondern die andere Zutat freiheitlicher Politik: die Liebe zu jenen, die Angst haben vor Inflation, Krieg und Pandemie. Die sich von den Eliten verspottet sehen und die „freiheitliche Familie“ suchen. Die, die so „normal“ sind, wie Kickl selbst vorgibt zu sein.

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