Die Kulturkritik der Woche
Der Punk-Bürgerschreck Johnny Rotten will zum Song Contest. Darf er das? Aber natürlich!
John Lydon will zum Song Contest. Einst war er Englands Staatsfeind Nummer eins. Sein Vergehen? Stachelige Haare, schlechte Manieren und eine schneidende Stimme. Als Johnny Rotten stand er den Sex Pistols vor, der Mutter aller Punkbands. Den öffentlichen Hass hat der Sänger 1977 nur mit Glück überlebt, ein einziges Album brachte sein Umstürzlertrupp zustande. Es zählt zu den besten der Popgeschichte und Lydon zu ihren großen schwierigen Helden.
Später machte er sich in Reality-Shows zum Affen, trat in fragwürdigen Werbespots auf, und weltanschaulich ist er ein Irrlicht. Vielleicht aber blieb Lydon, der als Kind fast an Meningitis gestorben wäre und monatelang im Koma lag, einfach nur weit über seine verschwendete Jugend hinaus einer, der sich nicht fassen und vereinnahmen lassen will. Nach dem Ende der Sex Pistols ließ er den konventionellen Punkrock 1978 hinter sich und rief die spröde-abenteuerlustige Gruppe Public Image Limited (kurz PIL) ins Leben, deren einziger Hit einige Jahre später "This Is Not a Love Song" hieß.
Jetzt haben PIL selbst ein Liebeslied gemacht, die kitschfreie Ballade "Hawaii"; der einstige Herr Rotten möchte damit für Irland, die Heimat seiner Eltern, zum Song Contest fahren. Verrat an alten Punkidealen? Papperlapapp! Was für ein herrlicher Regelbruch wäre es doch, dieses bedingungslos echte Stück Musik als Kuckucksei in den weltgrößten Musikkarneval der Künstlichkeit zu legen. "Hawaii" ist eine rührende
Liebeserklärung an Nora Forster. Sie ist seit Sex-Pistols-Tagen die Frau an Lydons Seite - und nun an Alzheimer erkrankt. Die nationale Kür am 3. Februar entscheidet, ob "Hawaii" ins Song-Contest-Rennen geht. Drücken wir diesem Rebellen und Romantiker die Daumen.