„Lustigkeit entsteht durch die unerwartete Wahrheit“
„Tagespresse History“ heißt das neue Kabarettprogramm der Wiener Satireplattform Die Tagespresse, es hat demnächst im Rabenhof Premiere. Autor Fritz Jergitsch erklärt im Gespräch, warum Satire eine Kunst der Gegenwart ist

Seit zehn Jahren betreibt der 32-jährige Wiener Fritz Jergitsch das Satire-Medium Die Tagespresse (Foto: Heribert Corn)
Nach vier Jahren legt das österreichische Satiremedium Die Tagespresse ein neues Kabarettprogramm vor: „Tagespresse History“, geschrieben von Fritz Jergitsch, Sebastian Huber und Jürgen Marschall, bietet eine humorvolle Neuinterpretation der Geschichte Österreichs; die Premiere findet am 15. Februar im Rabenhof statt. Der Falter sprach mit Tagespresse-Gründer Fritz Jergitsch über Fakes, Telefonstreiche, Algorithmen und Medienpolitik.
Falter: Herr Jergitsch, Ihr neues Stück „Tagespresse History“ bedient das Genre der „kontrafaktischen Geschichte“, es bürstet historische Wahrheiten also bewusst gegen den Strich, wie Quentin Tarantino etwa, der Hitler in „Inglourious Basterds“ bei einem erfolgreichen Attentat sterben ließ. Oder Monty Python, die mit „Das Leben des Brian“ eine Fake-Geschichte rund um Jesus erzählten. Waren das Vorbilder?
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Fritz Jergitsch: An „Inglourious Basterds“ haben wir nicht gedacht. Monty Python kommt schon eher hin. Obwohl ich es natürlich nie wagen würde, uns mit Monty Python gleichzusetzen. Generell eignen sich historische Stoffe, um humoristische Aspekte zu gewinnen. Nämlich indem man den Bezug zur Gegenwart herstellt. Satire ist eine Kunst, die sich stark mit der Gegenwart befasst. Spreche ich einen Sager von Cäsar einfach nur nach, lacht niemand. Berührt er aber Dinge, die uns im Moment beschäftigen, lachen wir.
Wovon handelt Ihr neues Stück?
Jergitsch: Es wird keine Geschichtsstunde, historische Genauigkeit spielt keine Rolle. Wir gehen einfach der Frage nach, was Österreich ausmacht. Dabei erzählen wir satirisch nach, wie sich die Österreichheit seit dem Urknall bis in die Gegenwart entwickelt hat.
Normalerweise agiert die Tagespresse tagesaktuell. Warum jetzt der Blick zurück?
Jergitsch: Irgendwann hat man auch genug, jeden Tag die Zeitung zu öffnen und einen Witz herauszudestillieren. Wir haben die Idee gemeinsam mit dem Rabenhof entwickelt. Unser letztes Kabarett-Programm wurde ja von Ibiza abgeschossen. Es handelte von der türkis-blauen Regierung, ab Mai 2019 war diese aber passé und damit auch das Programm. Deshalb wollten wir nun etwas Zeitloses machen.
Könnten Sie uns einen kleinen Vorgeschmack geben?
Jergitsch: Über die Geburt Jesu berichtet Wolfgang Fellner auf Oe24: „So versext war Jungfrau Maria!“ Wir verarschen nicht nur historische Figuren, sondern machen auch Mediensatire: die Krone über Hitlers Einmarsch oder ein Talk im Hangar 7 von Servus TV während der Pest.
Paul Kraker präsentiert das Ganze im Rahmen einer Nachrichtensendung à la „ZiB 2“. Am Stück sind auch viele weitere Künstler beteiligt. Wie kommen die vor?
Jergitsch: Wir arbeiten mit jungen Kabarettisten zusammen, zum Beispiel Christoph Fritz, der im letzten Stück ein Maskottchen der Wirtschaftskammer gespielt hat. Jetzt tritt er als Werbeträger für die Kirche auf. Oder Tereza Hossa, die auch unseren TikTok-Kanal bespielt. Und Maria Hofstätter, die eine Parodie auf den Film „Hundstage“ gibt, verkleidet als Kaiserin Sisi.
Die Artikel der Tagespresse treffen einen bestimmten Jargon des Journalismus ziemlich gut. Wie haben Sie sich das antrainiert?
Jergitsch: Also ich persönlich hatte nie Schwierigkeiten, den Tonfall zu treffen. Ich habe schon mit sechs Jahren Zeitungsartikel gemalt und geschrieben, mir hat das immer getaugt, Medien zu imitieren. Und es ist ja nicht so schwer, eine APA-Meldung zu schreiben.
Wie würden Sie den Falter persiflieren?
Jergitsch: Spontan fällt mir ein: Florian Klenk, der einen Hassposter vor die Kameras zerrt und eine siebenstündige Netflix-Doku mit ihm dreht.
Ich erinnere mich an die Tagespresse-Headline: „Hat auf Twitter immer das letzte Wort: Klenk muss Kauf durch Musk noch absegnen.“
Jergitsch: Satire ist ja irgendwo auch ein Kompliment. Deshalb regen sich Politikerinnen und Politiker nie bei uns auf – weil sie verstehen, dass man Satire nur über Personen macht, die eine gewisse Relevanz haben, zumindest für die jeweilige Zielgruppe. Wir haben zum Beispiel einen kritischen Post über den FPÖ-Mandatar Waldhäusl geschrieben und zehn Menschen kommentierten, dass er völlig recht hat.
Gottfried Waldhäusl, FPÖ-Landesrat in Niederösterreich, sagte zu einer migrantischen Schülerin, „Wien wäre immer noch Wien“, wäre sie nicht nach Österreich gekommen. Wie kann man so etwas satirisch verarbeiten?
Jergitsch: Geht man durch Wien und sieht sich die Türklingeln an, liest man lauter böhmische Namen. Oder Namen aus dem Balkanraum – Jergitsch zum Beispiel. Woher kommt denn der Name Strache, woher kommen Belakowitsch, Deimek und so weiter? Die Essenz ist: Wer so etwas sagt, zeigt, dass er keine Ahnung hat – weder von der Realität noch von Wiens Geschichte. Satirisch drehten wir das so um, dass Waldhäusl vielleicht ein persönliches Motiv hat. Gäbe es keine Migration, gäbe es auch keinen Udo Landbauer, und dann wäre statt ihm vielleicht Waldhäusl selbst FPÖ-Parteichef. Wir versuchen Absurditäten aufzuzeigen, um zu entlarven, was der Typ eigentlich für einen Quatsch redet. Abgesehen davon, dass man einen völlig verrotteten Charakter haben muss, um so etwas zu sagen. Lustigkeit entsteht durch die unerwartete Wahrheit.
Gab es jemals offizielle Beschwerden über Texte der Tagespresse?
Jergitsch: Nein. Einmal gab es eine Beschwerde beim Werberat, die wurde abgelehnt. Aber es gibt schon Dinge, die ich heute nicht mehr so schreiben würde.
Nämlich?
Jergitsch: Einen Bericht über Andreas Gabalier etwa, der auf der Sonderschule war und plagiiert hat. Da ging der Witz letztlich auf Kosten von Sonderschülern, Menschen also, die es eh schon schwierig genug haben. Seitdem überlege ich mir genauer, ob ein Witz nach oben oder unten tritt.
Sie haben eigentlich Volkswirtschaft in den Niederlanden studiert. Warum dann der Wechsel ins Satire-Geschäft?
Jergitsch: Das war Zufall. Ich habe verschiedene Websites programmiert, die Tagespresse war das sechste Projekt, das ich ausprobierte. Und eine Affinität zu Satire war da. Jahrelang habe ich gerne Der Postillon und The Onion gelesen und immer „Willkommen Österreich“ und „Dorfers Donnerstalk“ geschaut. Mir fiel auf, dass ein satirisches Online-Format hierzulande fehlt. Und da dachte ich: Wenn es niemand macht, mache ich es halt selbst.
Sie trauern der Karriere als Volkswirt offenbar nicht nach?
Jergitsch: Nein, ich könnte mir nicht vorstellen, jetzt in einer Bank zu sitzen und das Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal 2024 zu prognostizieren. Keine Ahnung, was ich sonst machen würde. Vielleicht ein Start-up gründen für bunte Socken.
Waren Sie schon in der Schule der Klassenclown?
Jergitsch: Ja, ich habe vor allem gerne Leute reingelegt. Und mich diebisch gefreut, wenn es aufgegangen ist.
Telefonstreiche?
Jergitsch: Natürlich. Eine der schlimmsten – gar nicht so lustigen – Aktionen war, als ich in einem Lokal für 100 Leute reserviert habe. Für eine geschlossene Gesellschaft.
Und dann?
Jergitsch: Na ja, nix – unterdrückte Nummer. Nie wieder gemeldet. Mit 15 habe ich einmal versucht, im Internet Grundstücke auf dem Mond und dem Mars zu verkaufen. Ich bin aber keines losgeworden.
Ihre Fake-Grundstücke waren nicht glaubwürdig genug?
Jergitsch: Offenbar. Ich habe in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen geschrieben, dass ich nur Urkunden schicke. Aber auch das wäre schon Betrug gewesen, hätte die jemand wirklich gekauft. Ich war halt 15.
Kann man humoristisches Arbeiten lernen?
Jergitsch: Eine gewisse Kreativität ist Grundvoraussetzung, aber man kann auch sehr viel trainieren. Ob ein Witz aufgeht, hängt von einzelnen Worten, Präpositionen, Beistrichen ab. Ich würde jedem empfehlen, einmal einen Twitter-Account zu machen und Pointen rauszuhauen. So bekommt man sehr ehrliches Feedback und kann üben. Wir haben viele Mitglieder unseres Autorenteams auf Twitter entdeckt.
Die Tagespresse gibt es seit 2013, Sie selbst waren damals 22. Wie lief die Gründung des Mediums ab?
Jergitsch: Als Erstes erstellte ich eine Website, dann registrierte ich mich inkognito im Standard-Forum. Ich schrieb auf der Tagespresse-Seite einen Artikel über ein vieldiskutiertes Thema und postete im Standard-Forum den Link. Damals dachten noch alle, dass alles stimmt, was im Internet steht. Da habe ich etwa geschrieben: „Wiener Linien führen Business-Class ein“ oder „Edward Snowden beantragt Asyl in Wien“. Die Geschichten sind dann enorm explodiert. Die Snowden-Meldung musste das Außenministerium dementieren, weil die Leute nicht gecheckt haben, dass sie nicht stimmt.
Die Seite sah ja durchaus seriös aus.
Jergitsch: Ich habe schon darauf geachtet, dass es technisch passt. Dass die Website etwa mit Social-Media-Kanälen verknüpft ist. Ansonsten war es easy, ich arbeite mit WordPress, einem kostenlosen, standardisierten Redaktionsprogramm. Gewisse Adaptionen habe ich dann selbst designt.
Inzwischen beschäftigt die Tagespresse drei feste und mehrere freie Autoren. Haben Sie einen persönlichen Lieblingsartikel?
Jergitsch: Nicht wirklich. Worauf ich am häufigsten angesprochen werde, ist der Glawischnig-Artikel.
Sie haben damals eine reale APA-Meldung publiziert: „Ex-Grünen-Chefin Eva Glawischnig geht zu Novomatic“. Realität als Satire.
Jergitsch: Ja, den haben wir nicht einmal selbst geschrieben. Ich freue mich natürlich immer, wenn mich Leute ansprechen und sagen, dass wir einen Nerv getroffen haben.
Sehen Sie sich eigentlich als Journalist?
Jergitsch: Unsere Form von Satire kann schon informieren. Wirklich journalistisch ist sie aber nicht, denn wir geben ja nur eine neue Perspektive auf bereits Bekanntes. Ein Journalist geht davon aus, dass der Kenntnisstand seiner Leser bei null liegt – sonst wären es keine News. Wir setzen sehr wohl voraus, dass unsere Leser mit dem Thema schon vertraut sind.
2021 haben Sie, ganz ohne Satire, ein kritisches Buch über Social Media geschrieben. Wie lautet Ihre These?
Jergitsch: Soziale Medien leben davon, dass sie möglichst viel Werbung zeigen. Dafür müssen Nutzer möglichst lange in ein Gerät schauen. Am ehesten bleiben wir bei Inhalten hängen, die emotionalisieren – lustige Videos, blöde Geschichten oder solche, die Angst machen. Algorithmen sieben diese Inhalte aus und zeigen sie vermehrt an. Das halte ich für höchst explosiv.
Diese Problematik ist vielen zwar längst bewusst, aber offenbar weiß niemand, wie wir da wieder herauskommen.
Jergitsch: Wir sollten beginnen, die Algorithmen zu entschärfen. Wir brauchen keine Zensur. Aber wir sollten in die Vorliebe von Algorithmen für Angst, Hass und Spaltung eingreifen, sodass uns Inhalte nicht deswegen angezeigt werden, weil sie uns emotionalisieren, sondern auf Basis anderer Qualitätskriterien. Deshalb sollte man gesetzlich vorschreiben, nach welchen Metriken man optimieren darf – zum Beispiel nicht mehr auf Likes, sondern auf Lesezeit. Oder auf die Kredibilität der Quelle.
Wer könnte das juristisch durchsetzen?
Jergitsch: Die EU. Mit der harten Hand des Gesetzes muss man Social-Media-Unternehmern Spielregeln vorgeben. Die Datenschutz-Grundverordnung der EU von 2016 hat gezeigt, dass der digitale Raum regulierbar ist. Und dass sich Firmen daran halten, auch wenn sie murren. Genau so, wie es mit dem Datenschutz geklappt hat, sollte es auch mit Algorithmen passieren.
Wie steht es um Österreichs klassische Medienlandschaft?
Jergitsch: In Österreich wird keine Medienpolitik gemacht, sondern wie in jedem anderen Bereich nur Klientelpolitik. Wir haben in Österreich leider eine Situation, wo die Medien keinen Anreiz haben, sich selbst zu finanzieren, sondern sich sukzessive vom Staat abhängig machen – entweder durch Inserate oder durch Medienförderung. Wir als Tagespresse machen zwar nur Satire, aber finanzieren uns zu 100 Prozent über Abos und Merchandising. Es wäre wichtig, für alle Medien Modelle zu entwickeln, um eine wirtschaftliche Abhängigkeit von der Politik zu vermeiden.
Das ist leichter gesagt als getan. Immer weniger Menschen wollen Geld für journalistische Angebote ausgeben.
Jergitsch: Ja, Österreich ist natürlich ein kleiner Markt. Und durch den ORF, der scheinbar gratis ist, können die Menschen jeden Tag gute Inhalte konsumieren. Aber das ist auch eine Gewöhnungssache. Ich glaube, wenn Medien beginnen, sich über kreative Wege selbst zu finanzieren, wird auch die Bereitschaft steigen, für guten Journalismus zu zahlen. Kommt es dann wirklich einmal hart auf hart, erinnern sich die Leute daran, dass Medien eigentlich eine wichtige Rolle spielen. Die New York Times hat während Donald Trumps Amtszeit große Zuwächse gehabt.
Auf die Pandemie folgten Krieg und Inflation. Ist es einfacher oder schwieriger, in Krisenzeiten lustig zu sein?
Jergitsch: Das letzte Jahr war tatsächlich das schwierigste seit der Gründung. Weil der Krieg alles überlagert hat. Und was will man so einem Krieg humoristisch abgewinnen? 2022 war auch deshalb ungewöhnlich, weil sich alle heimischen Politiker versteckten: Nehammer, der nicht gerne im Rampenlicht steht, Rendi-Wagner, die man nur mit der Wega ins „ZiB 2“-Studio befördern könnte. Innenpolitisch hat das letzte Jahr überraschend wenig hergegeben.
Und 2023?
Jergitsch: Der Jänner war wieder besser. Vor allem die Niederösterreich-Wahl mit Franz Schnabls Satire-Wahlkampf. F
Die Tagespresse (dietagespresse.com) ist eine Satire-Website, auf der täglich Artikel im Stil echter Zeitungsberichten erscheinen. Gegründet wurde sie 2013 vom damals 22-jährigen Wiener Fritz Jergitsch. Die Tagespresse finanziert sich über Abonnenten. Nun präsentieren die Autoren ihr drittes Bühnenstück
„Tagespresse History“: Rabenhof, 15., 17., 23., 24.2. sowie 1., 17., 18. und 31.3., 20.00