MUSIKTHEATER Kritik

Elegant verpackter Tabubruch: Richard Strauss' "Salome" in der Staatsoper

MATTHIAS DUSINI
Lexikon, FALTER 06/23 vom 08.02.2023

Mit der Neuinszenierung von Richard Strauss' "Salome" gelingt der Wiener Staatsoper eine gehaltvolle Auseinandersetzung mit dem Thema sexueller Missbrauch. Im Zentrum der auf einem Text des englischen Schriftstellers Oscar Wilde basierenden Oper steht eine antike Prinzessin, die von ihrem Stiefvater Herodes bedrängt wird. Ihrerseits begehrt Salome einen Propheten, der im königlichen Gefängnis sitzt. Als Jochanaan die adelige Verehrerin zurückweist, setzt Salome beim Stiefvater die Enthauptung des heiligen Häftlings durch.

Vor wenigen Jahren stand die Staatsoper in der Kritik, nachdem Missstände in der Ballettakademie öffentlich geworden waren. Nun wirken zwei Elevinnen an der "Salome" mit -sie wurden während der gesamten Proben von einem Kindeswohlteam betreut. Die Kinder nehmen an dem berühmten Schleiertanz teil, als kindliche Doppelgängerinnen der von Malin Byström verkörperten Salome.

Regisseur Cyril Teste gibt dem Stoff durch diesen Kunstgriff eine zeitgemäße Deutung. In traditionellen Inszenierungen war der Tanz der cringe Höhepunkt der Show, eine Art Bunga-Bunga-Party für den Despoten -und sabbernde Herren im Publikum. Testes Interpretation lässt keinen Zweifel daran, wer das Opfer ist -nicht der von weiblichen Reizen verführte Herodes, sondern die traumatisierte Schwiegertochter, die ihre Gewaltfantasien auf Jochanaan, einen unschuldigen Vaterersatz, verschiebt.

Teste verstört nicht durch grelle Dramaturgie, sondern platziert das Tabu in einem konventionellen Setting. Das Bühnenbild gestaltet den Königshof aus Versatzstücken eines monumentalen, topografisch nicht zuordenbaren Klassizismus. Diese auf den ersten Blick harmlos-elegante Ästhetik korrespondiert mit Strauss' Musik, in deren harmonischer Oberfläche immer größere Risse aufbrechen. Das riesige Orchester entfaltet ein berauschendes Klangspektrum, von filigranem Zirpen bis zu ekstatischem Wogen. Die flehenden, gequälten und schmachtenden Stimmen des Ensembles um Malin Byström sind dem Wall of Sound gewachsen.

Staatsoper, Fr, So 19.00

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