„Migration ist keine Frage von links oder rechts“

Klassenkampf als Erfolgsrezept der Sozialdemokratie, Klimakrise als soziale Frage und Internationalismus: der Traiskirchner Bürgermeister und linke Parteirebell Andreas Babler über die Notwendigkeit einer radikalen Reform der SPÖ

NINA HORACZEK, FLORIAN KLENK
Politik, FALTER 06/23 vom 08.02.2023

Andreas Babler in seinem Bürgermeisterbüro. Im Hintergrund ein Bild des linken Liedermachers Sigi Maron (Foto: Christopher Mavrič)

Es war eine beeindruckende Niederlage: Obwohl die zentralen Wahlkampfthemen von Inflation bis hohe Mieten für die Sozialdemokratie sprachen, fuhr die SPÖ in Niederösterreich ihr historisch schlechtestes Ergebnis ein. Nach dem Rücktritt von Franz Schnabl will sich die SPÖ in Niederösterreich nun unter dem neuen Landesparteichef Sven Hergovich neu aufstellen. Der Traiskirchner Bürgermeister und linke Parteirebell Andreas Babler leitet die Reformkommission, die für mehr parteiinterne Demokratie und für eine Öffnung der SPÖ in Richtung Zivilgesellschaft sorgen soll. Im Gespräch mit dem Falter erklärt Babler, wieso die SPÖ ihre Glaubwürdigkeit verloren hat und weshalb er selbst trotz zahlreicher Vorzugsstimmen in Traiskirchen bleibt, statt bundespolitisch Verantwortung zu übernehmen.


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Falter: Herr Babler, Inflation, Teuerung, steigende Mieten. Wie kann man als Sozialdemokratie bei so einer Themenlage so historisch scheitern?

Andreas Babler: Weil wir zwar die richtigen Überschriften haben, sei es im Kampf gegen die Teuerung oder für leistbares Wohnen, aber die Leute nehmen uns nicht mehr ab, dass wir diese Forderungen auch in unserer sozialdemokratischen DNA haben. Das ist, kurz gesagt, unser Problem.

Wer ist dafür verantwortlich?

Babler: Die Antwort auf Personen zu reduzieren, ist zu einfach. Natürlich gab es Fehler in der Kommunikation und in der Wahlkampfführung. Die SPÖ verliert aber schon seit Jahrzehnten an Glaubwürdigkeit. Das liegt auch daran, dass die SPÖ-Spitze über viele Jahre des Regierens nur versuchte, die Regierungsbeteiligung positiv zu verkaufen, statt klar zu sagen, das ist unsere SPÖ-Forderung und das ist der Kompromiss, den wir in der Regierung erreichen konnten.

Die SPÖ ist längst in der Opposition. Da muss es doch andere Gründe geben?

Babler: Die SPÖ braucht vor allem eine Re-Ideologisierung, auch wenn das retro klingen mag. Als Gesamtpartei müssen wir das, was wir an Überschriften liefern, wieder glaubwürdig leben.

Sie haben mehr als 20.000 Vorzugsstimmen bekommen und bleiben trotzdem in Traiskirchen. Wo bleibt da Ihre Glaubwürdigkeit?

Babler: Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich Bürgermeister bleibe. Der Job des Landesrats oder Landesparteivorsitzenden lässt sich damit nicht vereinbaren. Wir haben jetzt gemeinsam ein Bundesratsmandat erreicht, wo wir unsere Politik nun direkt ins Parlament bringen. Und als Bürgermeister kann ich als Role-Model für rote Politik im Kleinen viel bewirken.

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In Niederösterreich leiten Sie nun die SPÖ-Reformkommission. Was ist Ihr Ziel?

Babler: Die Demokratisierung und Öffnung der Partei. Wir leiden alle darunter, wie strukturkonservativ die Sozialdemokratie bis hinab in die Ortsgruppen ist. Wir müssen die Partei wieder als Teil einer großen Bewegung verstehen und Lösungen aufzeigen.

Welche zum Beispiel?

Babler: Im Kampf gegen den 12-Stunden-Tag, der von ÖVP und FPÖ eingeführt wurde, konnten wir 300.000 Menschen auf die Straßen mobilisieren. Aber dann bleibt die SPÖ stehen, anstatt zu zeigen, dass wir die politische Kraft sind, die für moderne Lösungen steht, etwa dass wir für eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich kämpfen.

Weil Sie vorhin von Retro-Politik sprachen: Gibt es heute noch Klassenkampf?

Babler: Na logisch! Bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit führen wir seit Jahren einen Abwehrkampf, aber auch im Rechtsanspruch auf eine ordentliche Gesundheitsvorsorge. Wer das Geld für einen Privatarzt hat, kriegt sofort einen Untersuchungstermin, auf den Kassentermin wartet man monatelang.

Was wäre Ihre Lösung?

Babler: Zum einen sollten Ärztinnen und Ärzte verpflichtet werden, einige Jahre eine Kassenordination zu führen und erst danach eine Wahlarzt-Ordination. Zum anderen müssten die Beträge, die die Kassen den Ärztinnen und Ärzten auszahlen, angehoben werden.

Für Wählerinnen und Wähler sind zwei Themen zentral: Ökologie und Migration. Bei beiden wirkt die SPÖ verloren.

Babler: In der ökologischen Frage geht es, wie in all den historischen Kämpfen der Sozialdemokratie, darum, das Leben der vielen zu verbessern. In der Klimakatastrophe wird es das oberste Prozent immer noch angenehm kühl haben in seinen klimatisierten Villen. Aber für die vielen, die es sich nicht richten können, ist der Kampf gegen die Erderwärmung ein Kampf um ihre Existenzgrundlage. Da muss man sich nur die Kämpfe um die Privatisierung von Wasser auf anderen Kontinenten ansehen. Die Erderhitzung erzeugt auch massive Fluchtbewegungen. Da ist die SPÖ leider noch nicht in der Realität angekommen.

Ihre Antwort?

Babler: Climate and social justice. Die Erderhitzung ist eine Klassenfrage, weil die Ärmsten davon als Erstes betroffen sind, und der Kampf dagegen sollte im Zentrum einer sozialdemokratischen Politik stehen.

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig von der SPÖ hat sich da anders positioniert und die Generation der Klimaschützer-Jugendlichen vor den Kopf gestoßen.

Babler: In Wien gibt es hier zwei Realitäten: zum einen die institutionelle, wo in Wien im Bereich der Magistrate mit viel Expertise sehr viel gegen die Stadterhitzung getan wird. Wo aber vielleicht die Radikalität fehlt. Und dann die Denkweise innerhalb einiger in der Wiener SPÖ, wo viele das Problem nicht so sehen, wie ich es formuliert habe.

Das sind in Wien vor allem die großen Flächenbezirke, die nach rechts blinken. Wie weit rechts muss die SPÖ sich positionieren, um erfolgreich zu sein? Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil von der SPÖ steht in der Migrationsfrage sehr weit rechts und ist damit erfolgreich.

Babler: Es gibt einige, die das so analysieren. Ich gehöre nicht dazu. Migration ist eine humanistische Frage und keine von links oder rechts.

Also Grenzen auf und alle dürfen rein?

Babler: Nein. Es braucht natürlich ein System, das ordnet. Flucht und Migration sind aber kein Polizeithema, sondern eine soziale Frage. Ich fordere deshalb seit vielen Jahren, dass die Asylagenden aus dem Innenministerium gelöst werden. Das ist eine utopische Forderung, aber solange das Innenministerium für Asyl zuständig ist, wird das immer mit Kriminalität verbunden. Zum Burgenland: Dort ist Doskozil in vielen Bereichen Role-Model für gute sozialdemokratische Politik, sei es beim Mindestlohn, aber auch bei der Ökologie. Aber leider wird das immer nur auf sein "Rechts-Blinken" reduziert.

Was ist die sozialdemokratische Antwort auf die Migrationsfrage?

Babler: Im Inland braucht es eine menschenwürdige Unterbringung und Betreuung für diese Menschen. Das sind in Wirklichkeit gar nicht so viele, das kann sich Österreich leisten. Ich höre seit Jahrzehnten, wir müssen Fluchtursachen bekämpfen und die Hilfe vor Ort verstärken. Aber gleichzeitig geht Österreich gerne voran bei der Kürzung dieser Hilfsgelder. Natürlich machen sich die Leute auf den Weg nach Europa, wenn ihnen vor Ort keiner hilft.

Gleichzeitig ist in Österreich die Angst vor Migration sehr hoch.

Babler: Ich sehe in Traiskirchen, der Gemeinde mit dem höchsten prozentuellen Anteil von Asylwerbern in Österreich, eine unglaublich hohe Bereitschaft in der Bevölkerung, zu helfen. Österreichweit gibt es zigtausende Menschen, die organisiert oder als Privatinitiative geflüchtete Menschen unterstützen. Der Wahnsinn ist, dass diese Helferinnen und Helfer derzeit keine politische Lobby haben. Das wäre Aufgabe der SPÖ. Auch vor Wirtschaftsmigration hätten die Österreicherinnen und Österreicher viel weniger Angst, wenn man ihnen klar sagen würde, was los ist. Die Wirtschaft sucht händeringend nach Personal in so gut wie allen Bereichen. Wir brauchen deshalb nicht nur qualifizierte Zuwanderung, sondern auch unqualifizierte. Diese Ehrlichkeit der SPÖ, das offensiv zu benennen, das bräuchte es.

Niederösterreichs Integrationslandesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) hat in einer TV-Sendung Schüler mit Migrationshintergrund rassistisch beleidigt. Soll die FPÖ das Integrationsressort behalten dürfen?

Babler: Waldhäusls Aussage war radikal menschenfeindlich. Die Antwort ist also ein klares Nein.

Soll die SPÖ dieses Ressort übernehmen?

Babler: Das würde ich meiner Partei empfehlen. So könnten wir Geflüchtete menschenwürdig unterbringen. Aber das entscheiden nicht wir und die Verhandlungen führt unser neuer Landesparteichef.

Sie tragen ein T-Shirt des linken Fußballklubs St. Pauli aus Hamburg samt großem Peace-Zeichen. Wie soll sich die SPÖ zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verhalten?

Babler: Ich komme aus der Friedensbewegung. Aber in diesem Krieg ist ganz klar, dass Russland der Aggressor ist und die Ukraine - trotz meiner gleichzeitig harten Kritik am politischen System des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Co - ein Recht auf Selbstverteidigung hat.

Wurde die Sozialdemokratie von Putin strukturell korrumpiert?

Babler: Ja, aber nicht nur die Sozialdemokratie. Das betrifft so gut wie alle Parteien. Man hat sich Russland ausgeliefert und es war ein großer Fehler. Wer politisch links ist, muss ein klarer Gegner des russischen Präsident Wladimir Putin sein. Unter ihm sitzen die Linken in Russland seit Jahren im Gefängnis. Unsere Aufgabe wäre, die russische Friedensbewegung zu unterstützen.

Wieso passiert da in der SPÖ so wenig? Ihre Parteichefin Pamela Rendi-Wagner ist schließlich außenpolitische Sprecherin.

Babler: Ich weiß es nicht. Aber ich halte es für einen Fehler. Die SPÖ war immer eine internationalistische Partei und muss sich auch wieder als solche definieren.

Aus vielen Ihrer Antworten hören wir auch Kritik an Parteichefin Pamela Rendi-Wagner heraus.

Babler: Ich nicht.

Soll Rendi-Wagner an der Parteispitze Platz machen? Sie selbst kommt ja nicht vom Fleck.

Babler: Nein. Die SPÖ muss sich erst inhaltlich finden und dann müssen Inhalt und Person zusammenpassen. Die Probleme der Partei lösen wir nicht alleine durch einen Wechsel an der Spitze.

Aber die nächste Nationalratswahl steht schon im Jahr 2024 an und die Freiheitlichen sind derzeit in Umfragen die stärkste Partei.

Babler: Die SPÖ ist trotzdem kein Wahlorientierungsverein. Den Fokus nur auf die Parteichefin statt auf strukturelle Fragen zu legen, halte ich für falsch.

Der frühere Kanzler Sebastian Kurz hat bei der Wahl 2017 gezeigt, wie viel ein charismatischer Spitzenkandidat bewirken kann.

Babler: Kurz hat aber auch gezeigt, wie wenig nachhaltig diese Strategie ist. Ein Shootingstar aus der Castingshow ist nicht das, was ich meiner Partei empfehle.


Andreas Babler,

49, ist seit 2014 Bürgermeister von Traiskirchen. Nach der HTL war er Fabriksarbeiter und studierte auf dem zweiten Bildungsweg politische Kommunikation. Seine Polit-Karriere begann er 1989 in der Sozialistischen Jugend. Er gilt als wichtige linke Stimme in der SPÖ. Bei der Landtagswahl erreichte seine Partei in Traiskirchen 46,6 Prozent

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