Empfehlenswerte Versschmiedekunst
Lina Kostenko, 1930 geboren, ist die Grande Dame der ukrainischen Literatur. Der Band bietet einen Querschnitt ihres lyrischen Schaffens, übersetzt vom Wiener Slawisten Alois Woldan. Er transportiert die Texte sogar mit Reimen so, dass der Anschein entsteht, sie seien direkt auf Deutsch verfasst worden.
Kostenko pflegt einen klassischen Stil, sowohl von Reim und Metrum als auch von den Themen her: Liebe und Tod, die Natur sowie Versatzstücke europäischer Bildung von den griechischen Mythen über die Minnelyrik bis zu van Gogh spielen eine Rolle. Aufgrund ihres reduzierten, lakonischen Tons wirkt diese Lyrik nie verschmockt; in jedem Text sind die existenziellen Fragen spürbar. Sie haben aber auch eine politische Dimension, wenn Kostenko das Versagen der Eliten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs thematisiert.
Lina Kostenko: Ich bin all das, was lieb und wert mir ist. Gedichte. Aus dem Ukrainischen von Alois Woldan. Wieser, 90 S., € 18,90
KIRSTIN BREITENFELLNER
Ozeanblaues, geprägtes Ganzleinen in Fadenheftung: Mit einem Buch von exquisiter Machart stellt sich ein neuer Wiener Verlag vor: Castrum. Das erinnert nicht von ungefähr an Stefan George, den einstigen Hohepriester deutscher Versschmiedekunst und Elfenbeinturmbeherrscher. Auch Jan Juhani Steinmann, der Autor dieses ersten Gedichtbands mit dem klingenden Titel "Am Saum der Worte", schöpft für seine "Wiener Musikpoesie" aus der Tiefe altüberlieferter Poesiegattungen.
Der Gestus ist elitär, doch gelingt Steinmann immer wieder ein überraschender Sprung ins Jetzt. Die Konzeption der 67 Poeme ist originell: Sie entstanden während Konzertbesuchen in Wiener Konzerthäusern und Barockkirchen. Der promovierte Philosoph überführt den Geist Haydns, Mozarts oder Beethovens in sinnund melodienreiche Metren.
Jan Juhani Steinmann: Am Saum der Worte. Eine Wiener Musikpoesie. Castrum, 133 S., € 25,–
ALBERT EIBL