Schlechter Ruf, gutes Gehirn: Einblick in die Welt der Raben
T-Rex ist in Streitlaune. Der etwa sechsjährige Rabe spreizt sein Gefieder ab und stolziert so um die Futterstelle herum. Ein anderer Rabe macht dasselbe. Wer dominiert?
T-Rex haut mit dem Schnabel kurz auf den anderen hin - und erhält sogleich Hilfe vom jüngeren Ueno. Ueno verpasst T-Rex' Gegenüber einen Schnabelhieb. Der nimmt das hin, weil sich der Youngster sogleich hinter dem stärkeren T-Rex versteckt. Eine ganz normale Alltagsszene im Cumberland Wildpark im oberösterreichischen Grünau im Almtal. Dort leben Kolkraben, jene Rabenvögel, die über eine Flügelspannweite von bis zu 120 Zentimetern verfügen und Mitte des 20. Jahrhunderts fast ausgerottet waren. Man jagte sie, auch aus Furcht, weil sie Aasfresser sind.
Bei Konflikten die Beziehungen der anderen miteinkalkulieren zu können ist nur einer der komplexen kognitiven Prozesse, die Raben hinbekommen -und die der Biologe Thomas Bugnyar seit vielen Jahren beobachtet. Bugnyar leitet das Department für Verhaltens- und Kognitionsbiologie der Universität Wien und ist Autor des im September erschienenen Sachbuchs "Raben. Das Geheimnis ihrer erstaunlichen Intelligenz und sozialen Fähigkeiten". Es wurde soeben zum österreichischen Wissenschaftsbuch des Jahres in der Kategorie "Naturwissenschaft & Technik" gewählt.
Raben, die ihr Futter verstecken, miteinander kommunizieren, Freundschaften und Paarbeziehungen pflegen: Bugnyars Wissen ist enorm, und seinem Buch gelingt es auch über weite Strecken, die Inhalte verdaulich zu präsentieren. Wo Wissen fehlt, der Mensch vielleicht zu viel hineininterpretiert oder die Raben in ihrem Verhalten beeinflusst, wird artig reflektiert. Der gut verständliche Schreibstil ist der Journalistin Patricia McAllister-Käfer zu verdanken, die dem Professor als Ghostwriterin eine klare Sprache in den Mund legt. Und so das Gehabe von Ueno und T-Rex bildlich vorstellbar macht.
Thomas Bugnyar, Patricia McAllister-Käfer: Raben. Brandstätter, 224 S., € 25,–