Von Inzersdorf nach Iskenderun
Während die türkische Regierung versagt und österreichische Populisten Hilfe skandalisieren, sammeln Austro-Türken Hilfsgüter für ihre Verwandten in Not. Eine Reportage von der Hilfsfront nach dem Erdbeben im syrisch-türkischen Grenzgebiet

In der Veranstaltungshalle Kösk finden normalerweise zwei Hochzeiten pro Tag statt. Vergangene Woche koordinierte Alim Uslucan (27) dort die Spendenaktion (Foto: Heribert Corn)
Es ist 4.17 Uhr, als in Iskenderun im Südosten der Türkei die Erde zum ersten Mal bebt. Eine Minute lang. Sie bebt so stark, dass Sümbültepe Semsettin, 73, nicht aus dem Bett aufstehen kann. Er versteht nicht, was los ist, denkt an seine Mutter, die im Zimmer nebenan schläft. "Ich bin hin-und hergeschaukelt im Bett", sagt er. Als das Schaukeln vorbei ist, läuft er zu ihr, um sie "rauszukriegen". Aber sie stecken im Haus fest. Die Mutter ist gehbehindert, für 20 Meter benötigt sie fünf Minuten, so beschreibt er es. Nur wenige Minuten später bebt die Erde noch einmal. Dann noch einmal.
Sümbültepe Semsettin lebt eigentlich seit 50 Jahren im 23. Bezirk in Wien. Vor zwei Jahren hat er sein Lebensmittelgeschäft geschlossen und die Pension angetreten. Seither fährt er alle paar Monate in die Türkei. Die Nacht von Sonntag auf Montag verbrachte er bei seiner Mutter, denn sein Bruder war an einem Herzinfarkt verstorben. Er tröstete sie, blieb bei ihr und nicht bei den Verwandten wie sonst. Die Entscheidung rettete ihm das Leben.