„Der Star ist das Akkordeon“

Zum 24. internationalen Akkordeon Festival: Friedl Preisl und Franziska Hatz über ihr Programm für die beliebte Wiener Konzertreihe, den Reiz der Ziehharmonika, politische Versäumnisse und den bislang schlimmsten Festival-Bauchfleck

FALTER:Woche, FALTER:Woche 8/2023 vom 21.02.2023

Foto: Heribert Corn

Friedl Preisl ist eine enthusiastische Frohnatur. Noch vor Interviewbeginn erzählt der Kulturveranstalter launig, dass er in jungen Jahren für Rapid und den Sportklub gekickt hat – und erklärt stolz, „waschechter“ Wiener zu sein: „tschechische Großmutter väterlicherseits und eine krowodische auf Seiten der Mutter!“

Preisl steckt hinter drei traditionsreichen Wiener Konzertreihen, dem Klezmer-Festival Klezmore, dem musikalischen Adventkalender und dem Akkorden Festival, das von 25. Februar bis 26. März wieder die Vielfalt der Ziehharmonika feiert. Die 24. große Quetschn-Party ist seine letzte als Hauptverantwortlicher; den nahenden 75er nimmt Preisl zum Anlass für die Staffelholz-Übergabe an Franziska Hatz.

Die 43-jährige Südoststeirerin ist selbst Akkordeonistin, unter anderem beim Quartett Großmütterchen Hatz, und seit vielen Jahren Co-Kuratorin des renommierten Festivals. Bei großem Braunen und Melisse-Gurke-Minze-Limonade erweisen sich die beiden als eingespieltes Team.

Falter: Frau Hatz, Herr Preisl, woher rührt denn Ihre Liebe zur Ziehharmonika?

Franziska Hatz: Eine Tante hat ein Akkordeon auf dem Dachboden gefunden und es autodidaktisch erlernt, so kam es in meine Familie. Ich selbst spiele seit meinem sechsten Lebensjahr. Mein Vater hat beruflich Wein ausgeliefert und sich unabhängig von der Tante über den Umweg Wienerlied ins Instrument verliebt.

Uncool fanden Sie es nie?

Hatz: Meine Lehrerin war 86, als ich damit anfing, und obendrein eigentlich Organistin, vom Akkordeon hatte sie nur bedingt Ahnung. Im Prinzip bin also auch ich Autodidaktin, was den Spaß am Instrument schon einmal deutlich erhöht. Als Teenager war es mir natürlich trotzdem peinlich.

Friedl Preisl: Noch während meiner Berufstätigkeit habe ich in den 90er-Jahren begonnen, Konzerte zu veranstalten. Darunter in relativ kurzer Zeit auch drei Akkordeonisten mit völlig unterschiedlichem Sound. Toll, dachte ich mir: ein Instrument, aber drei Welten! Das Publikumsinteresse war allerdings überschaubar und das Image schlecht: Österreichweit galt das Akkordeon als volkstümliches Musikinstrument, in Wien als kitschiger Soundtrack-Lieferant für Touristenabende beim Heurigen.

Und Sie hatten dann nichts Besseres zu tun, als ein Festival zu gründen?

Preisl: „Oida, bist deppat, der Zug is ogfoan“, meinte der Wiener Akkordeonist Otto Lechner 1999 zu meiner Idee. Er war aber eh sofort mit an Bord, als Musiker und mit seinen Kontakten. Seine Einschätzung hat er auch bald revidiert, obwohl die Anfänge ziemlich rumpelig verlaufen sind.

Inwiefern?

Preisl: Zum Debüt gab es 2000 zwölf Veranstaltungen, verteilt auf teils ganz kleinen Spielstätten. Im dritten Jahr habe ich mich zu weit hinausgelehnt und ein üppiges einmonatiges Festival mit täglichem Programm gemacht. Künstlerisch super, wirtschaftlich weniger. Ich hatte auf eine Entschuldung durch die Stadt Wien gehofft, das Minus letztlich aber privat bezahlt. Da ist ein nicht unwesentlicher Teil meiner beruflichen Abfertigung hineingeflossen.

Wie lautet die Philosophie des Festivals?

Preisl: Der Star ist das Akkordeon. Im Programm wollen wir eine möglichst große Vielfalt hinbekommen und gleichzeitig ein gewisses Niveau nie unterschreiten.

Hatz: Zusätzlich habe ich noch den Anspruch, in jedem Genre das Spezielle herauszukitzeln. Ein konkretes Beispiel: Wir hatten einen jungen spanischen Akkordeonisten, noch keine 20, der Barockmusik total innovativ für das Akkordeon aufbereitet hat. Zu viel Dynamik ist dort eigentlich verboten. Er hat sich aber nichts gepfiffen, mit gewaltigem Ergebnis: Die Leute sind ausgeflippt, niemand hätte sich gedacht, dass Klassik so klingen kann. Genau so will ich es haben – dass ich im Konzert sitze und mir auch selbst „Wow!“ denke.

Was macht für Sie jeweils den Reiz des Instruments aus?

Preisl: Entgegen ihrem einst so schlechten Ruf ist es in allen Kunstformen anwendbar, von unterschiedlichsten Volksmusiken über Jazz bis Klassik. Gleichzeitig taugt es auch für moderne Ansätze.

Hatz: Für mich ist das Akkordeon eine Orgel im Miniaturformat, allerdings mit zusätzlicher Dynamik, weil du hier auch die Lautstärke steuern kannst. Außerdem musst du dich mit dem ganzen Körper damit beschäftigen, sonst wird es nichts.

Preisl: Manche Musiker sind regelrechte Ganzkörperklangmaschinen. Ihre Auftritte funktionieren anders als jene dieser technisch perfekten, aber letztlich faden Meister-Akkordeonisten mit ihrer normierten Klassik. Der Vielfalt wegen bieten wir zwar auch das an, aber wohldosiert. Es geht beim Programm nicht um Perfektion, sondern um das Gesamtbild und eine permanente kreative Spannung.

Wann haben Sie ihr erstes Akkordeon Festival besucht, Frau Hatz?

Hatz: Ich bin 2007 nach Wien gezogen, habe das Festival entdeckt und mir als erste kulturelle Handlung hier sofort einen Pass besorgt. Gleich am ersten Abend habe ich den Friedl kennengelernt. „Wenn du mir beim Kartenabreißen hilfst, bekommst du das Geld für den Festivalpass zurück“, hat er gesagt. So war ich gleich direkt ins Festival involviert. Er hat mich bald auch nach inhaltlichem Feedback gefragt. Das war zwar manchmal recht frech, aber Friedl meinte nur: Gut, dann schlag was vor!

Preisl: Feedback ist enorm wichtig, um Sachen verbessern zu können. Als Veranstalter neigst du ja zu einer gewissen Betriebsblindheit – erst recht, wenn alles ehrenamtlich und mit großem Engagement und persönlicher Identifikation passiert.

Was sind Ihre liebsten Erinnerungen an die bisher 23 Festivaljahre?

Preisl: Jedes einzelne Konzert des französischen Quintetts Bratsch. Die Band ist inzwischen in künstlerische Pension gegangen, aber die war ein Wahnsinn, in ihrer Musik kam die ganze Welt zusammen. Nach einem Auftritt des polnischen Motion Trio in der evangelischen Kirche Gumpendorf habe ich einmal selbst nachgeschaut, wo die drei Akkordeonisten denn ihre Stromanschlüsse versteckt haben – nur gab es da eben keinen Strom. Es sind Aha-Erlebnisse dieser Art, an die ich mich am liebsten erinnere.

Und der schlimmste Bauchfleck?

Preisl: Einmal habe ich bei der Programmierung leider komplett danebengegriffen. Am 8. März, dem Weltfrauentag, stand eine Gruppe auf der Bühne, die ausschließlich männlich besetzt war …

Hatz: … und dann lautete die erste Ansage des Abends auch noch: „Es gibt drei Sorten von Frauen. Die Schönen, die Gescheiten und die Mehrheit.“ In dem Stil ist es weitergegangen.

Preisl: Zum ersten Mal überhaupt bin ich als Festivalleiter schon zur Pause heimgegangen, verstört von meiner eigenen Programmierung. Ich hatte mich dummerweise auf das Urteil einer an sich kundigen Person verlassen.

Kommt es nicht öfter vor, dass jemand auf der Bühne einen Schas verzapft?

Hatz: Eigentlich kaum bis gar nicht. Das hat wohl mit einem gewissen Gespür bei der Auswahl zu tun.

Preisl: Problematisch wurde es eher, wenn Anspruch und Umsetzung nicht zusammengingen. Also etwa Avantgarde-Wollen, das interessant gedacht war, allerdings für eine Kleinkunstbühne und nicht für einen Konzertsaal. Oder ein Tangoabend mit einem Tanzpaar, wo sie Weltklasse und er vergleichsweise ein Stümper war.

Hatz: Da hatten wir es im Publikum dann auch lustig, wobei diese Art von Unterhaltung natürlich nicht intendiert war.

Im März 2020 hat der erste Lockdown das laufende Festival vorzeitig beendet. Das war bestimmt auch keine schöne Erfahrung?

Preisl: Beendet haben wir das Festival noch einige Tage vor Beginn des Lockdowns damals selbst und damit schneller reagiert als die politisch Verantwortlichen. Grund für unseren um vier Tage vorgezogenen Festivalabbruch war der erste Corona-Tote in Österreich am 12. März 2020.

Hatz: 2021 gab es dann lediglich Online-Konzerte, gestreamt aus dem Porgy & Bess. Das ging ja noch, aber die 2022er-Ausgabe mit den diversen Corona-Auflagen war ungemein nervenaufreibend. Wir hatten merklich weniger Publikum, dafür als Veranstalter von oben eine unglaubliche Verantwortung umgehängt bekommen.

Sie meinen die berühmt-berüchtigten „Corona-Regeln“ in all Ihren Variationen?

Hatz: Die Politik hat nichts Einheitliches zustande gebracht, und damit wurdest du als Kulturveranstalter alleingelassen. Das Akkordeon Festival findet in unterschiedlichen Häusern statt. Theater hatten andere Auflagen als Konzertsäle mit Barbetrieb, bei Konzertsälen ohne Barbetrieb wurden die Karten wieder neu gemischt. Dazu kamen die Wiener Sonderauflagen, wodurch internationale Künstler nicht auftreten und Stammgäste nicht kommen durften, weil sie nicht geimpft waren. Du wurdest zum Richter für etwas, das deinen Verantwortungsbereich ganz klar überschritten hat.

Preisl: Es war ein einziges Herumlavieren – typisch österreichisch halt.

Hatz: Bei allem Respekt vor der Herausforderung so einer Pandemiebewältigung, aber dieses halbseidene Gschisti-Gschasti war für die Welt der Kultur echt problematisch. Ein Veranstaltungsverbot wäre rückblickend vermutlich besser gewesen als diese nervenaufreibende Geschichte.

Preisl: Umso mehr freuen wir uns jetzt über die Rückkehr zur Normalität. Das Publikum übrigens auch, man spürt ungleich mehr Neugier und Vorfreude als 2022.

Hatz: Die Menschen kaufen auch wieder vermehrt im Vorverkauf und entscheiden nicht mehr spontan, ob sie kommen. Allerdings stellt sich die Frage „Bin ich gesund oder womöglich doch nicht?“ inzwischen zum Glück ebenfalls weniger.

Welches Konzert aus dem aktuellen Programm empfehlen Sie Menschen, die noch nie beim Akkordeon Festival waren und nun erstmals hingehen möchten?

Hatz: Ui, schwierig.

Preisl: Ich empfehle den Eröffnungsabend, da gibt es gleich ein besonders breites Spektrum. Das Duo Arnotto, bestehend aus Otto Lechner und Arnaud Méthivier, improvisiert völlig frei mit einer Intensität, Kraft und Magie, die ihresgleichen sucht. Eigentlich bist du danach geplättet, wir legen aber noch etwas Spezielles drauf: den serbischen Meisterakkordeonisten Lelo Nika, gemeinsam mit dem Koehne Quartett. Diese beiden Konzerte geben einen guten Eindruck von der Vielfalt des Festivals.

Hatz: Ich würde den Neuling nach seinen musikalischen Vorlieben fragen und meine Empfehlung individuell darauf abstimmen.

Was, wenn ich darauf jetzt antworte:

Punk, Hip-Hop und Free Jazz?

Hatz: Auch da finden wir problemlos Tipps. Den französischen Jazz-Akkordeonisten Vincent Peirani am 16. März etwa, der mit Gitarrist und Schlagzeuger kommt, oder die US-Band Three For Silver am 5. März.

Welche drei Abende dürfen erfahrene Connaisseure keinesfalls verpassen?

Hatz: Eh Peirani, weil das ein absoluter Weltstar ist. Die Eröffnung natürlich, und vielleicht noch das Doppelkonzert Turumtay/Zaric und Diatonische Expeditionen am 4. März. Da hast du zwei junge, charismatische Rohdiamanten am Instrument an einem Abend versammelt.

In den bisher 23 Festivaljahren haben Sie tatsächlich jedes einzelne Konzert gesehen, Herr Preisl?

Preisl: Aber sicher, was für eine Frage! Ich werde doch kein Konzert veranstalten, das ich mir dann selbst gar nicht anschaue.

Hatz: Ich bin ebenfalls ein sehr energetischer Mensch, im Unterschied zum Friedl aber nebenbei auch berufstätig. Er blüht in der letzten Festivalwoche noch einmal richtig auf, während mir da schon ein bisschen die Luft ausgeht. Vermutlich wird das Festival unter meiner Leitung ab 2024 auch etwas kürzer ausfallen.

Preisl: Seit 2002 hat mir die Pension das Festivalmachen finanziert. Franziska wird es anders angehen müssen.

Hatz: Man mag vorübergehend von Luft und Liebe leben können, mit Luft und Idealismus funktioniert es leider nicht. Dementsprechend hoffen wir auf eine Anpassung der Förderung. Ich möchte das Festival natürlich in Friedls Sinne weiterführen, also Neues bringen und mit Altbewährtem kombinieren. Er hat der jungen Szene immer eine Bühne geboten, ohne Rücksicht auf Verluste. Das war eine enorme Förderung. Auch künftig soll das Festival am Übergang vom Winter zum Frühling stattfinden, alles weitere hängt von den Rahmenbedingungen ab. Ideen hätte ich zuhauf, vor allem auch, was die noch stärkere Einbindung des heimischen Nachwuchses, niederschwellige Angebote und das gezielte Ansprechen eines jungen Publikums anbelangt.

Preisl: Ich bin gespannt, wie das erste Festival für mich sein wird, das ich rein als Gast besuche. Da es die Franziska übernimmt, kann ich aber problemlos loslassen.

Sie könnten ab 2024 ja Karten abreißen, dann gibt es den Festivalpass gratis.

Hatz: Ha, da fällt mir noch viel mehr ein, das du tun kannst.

Preisl: Dafür gibt es dann aber auch freches, kritisches Feedback.

Hatz: Ich bitte darum!

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