Ana Marwan hat den Anti-Pageturner der Saison geschrieben
Der Markt giert nach spannenden, leicht lesbaren Romanen. Zeitgeistige Themen oder wohldosiertes Grauen -das verkauft sich gut. Ana Marwan hält mit "Verpuppt" dagegen, den voll Spannung erwarteten Roman nach ihrem Triumph beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2022 - Begriffe wie Suspense können der in Österreich lebenden slowenischen Autorin gestohlen bleiben. "Diese Art des Erzählens habe ich immer verachtet", heißt es an einer Stelle.
So spricht zwar die Hauptfigur Rita, aber es könnte auch die Stimme der Autorin sein.
"Verpuppt" ist ein heißer Kandidat für den Anti-Pageturner der Saison. Nicht dass man nicht umblättern und weiterlesen wollte - Marwan schreibt eine fast schon altmodisch schöne Prosa. Aber er fordert aktives Lesen. Wer dazu bereit ist, wird belohnt durch eine fein austarierte Mischung von leiser Tragik und feiner Ironie.
Die Konstruktion ist ungewöhnlich. Rita, die gerade ihr Studium begonnen hat, scheint erst eine Nebenrolle zu spielen. Protagonist ist zunächst Jež, ein Beamter Anfang 50, belesen, Müßiggänger und frisch geschieden. Kleine kursive Unterbrechungen im Text legen nahe, dass eine andere Figur seine Geschichte aufschreibt. Es handelt sich um Rita. Die Texte sind Teil ihrer Therapie.
Die junge Frau ist in einer Anstalt, vermutlich auf der Psychiatrie, obwohl sie selbst von einem Ministerium spricht. Auch Jež dürfte sich in Wahrheit unter den Patienten befinden. Als Insasse ist er weit weniger interessant als die Version von ihm in Freiheit, die Rita für ihn zurechtlegt.
"Verpuppt" bietet ein kunstvolles Spiel mit Realität und Täuschung. Der Geschichte verschwindet bisweilen der Boden unter den Füßen, ohne dass sie komplett abdriften würde. Marwan versteht ihr Handwerk. Und sie kann auch wahnsinnig unterhaltsam schreiben. So enthält der Roman etwa eine der komischsten Psychiatriefluchtszenen der jüngeren Literaturgeschichte.