KRACH MIT HALTUNG
Zwischen Kunstpop, Krawall und Clubkultur: Die Veranstaltungsreihe Struma+Iodine wird zehn und schmeißt eine abenteuerlustige Party
Es gibt Lautere als Shilla Strelka. Raumgreifendere, Forderndere, Selbstdarstellerische und von der eigenen Suprigkeit Überzeugtere.
Aber nur wenige sorgen mit ihren Veranstaltungen derartig zuverlässig für Qualität im urbanen Nachtleben wie die Wienerin, die sich als DJ Inou Ki Endo nennt, koreanisch-österreichische Wurzeln hat, mit 18 schon den Free Jazz der ausgehenden 1960er-Jahre liebte und ansonsten derart zurückhaltend auftritt, dass sie weder ihr Alter noch ihren bürgerlichen Namen verrät. Es geht eben nicht so sehr um die Person Shilla Strelka. Es geht vielmehr um ihre Arbeit.
Seit zehn Jahren veranstaltet sie mit der Reihe Struma+Iodine Konzerte und Partys, deren Stilspektrum denkbar groß ist. Es reicht von Brutalo-Metal bis zu Experimental-Hip-Hop, von zeitgenössischer Klassik bis zu Hardcore-Techno, von minimalistischer Zuhör-Elektronik bis zu strafverschärfter Tanzmusik.
Strelka bespielt ganz unterschiedliche Häuser der Stadt. Im schlechtesten Fall kommen gerade einmal drei Dutzend Gäste zu ihren Veranstaltungen, im besten gut 400. Am Freitag dürfte es wieder voll werden: Im Werk am Donaukanal steigt die große Party zum ersten runden Geburtstag der Reihe; gleich 15 Acts sorgen für ein Programm, aus dem andere ganze Festivals formen.
Woher ihr Faible fürs Spröde rührt? "Sounds, die verstören, finde ich gut, weil sie dich an die Grenzen deiner ideologisch geprägten Wahrnehmung führen und sinnliche Tabuzonen durchbrechen", erklärt Strelka. "In diesen subversiven Sounds liegt auch politisches Potenzial. Ein Erweitern der Sinne kann zu einer Veränderung der Wahrnehmung und in weiterer Folge auch deiner Wirklichkeit führen. Der vermeintliche Krach hat also transformatives Potenzial, und genau das ist mir wichtig."
Ein einziges Wort reicht der Pop-Revoluzzerin dann auch, um zu beantworten, was Musikschaffende brauchen, um ihr Interesse zu wecken: "Haltung!" Und die findet sie in der avancierten Clubkultur ebenso wie im akademischen Bereich oder den diversen Nischen spröder Popmusik. Struma+Iodine verkörpert eine Art zeitgenössische Hochkultur. Nur halt sexy statt steif -und lange Zeit ohne Fördermittel, dafür mit einem Übermaß an Idealismus umgesetzt.
"Die Anfänge waren rumpelig, aber auch schön", erinnert sich die Veranstalterin. "Die Leute haben auf meiner Couch geschlafen, ich habe für sie gekocht. Geld gab es für mich keines, das hat aber auch keine Rolle gespielt. Ich habe erst mit der Zeit gelernt, mich nicht selbst auszubeuten."
Inzwischen erhält Struma+Iodine Fördermittel der Stadt: "Anfangs wollte ich bewusst autonom bleiben, aber irgendwann ging es einfach nicht mehr", sagt Strelka. "Ich bin der Stadt für die Unterstützung ungemein dankbar, denn so richtig kuratieren kannst du erst, wenn du mehr finanzielle Freiheiten hast." Konzerte und Partys sind dabei nur ein Teil der Arbeit: Strelka publiziert auf ihrer Website auch Interviews; in der Pandemie hat sie zudem einen Podcast gestartet, als Ersatz für gemeinsam verbrachte Nächte. Lokale Acts stellt sie hier verstärkt in die internationale Auslage.
Von Nischenveranstaltungen leben kann in Wien kaum wer. Strelka ist außerdem für das renommierte Grazer Diskurs-und Elektronikfestival Elevate tätig, sie arbeitet journalistisch, unterrichtet Mediengeschichte an der FH in Salzburg und ab März auch Musikrepertoire an der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst.
Dass sie inzwischen im universitären Bereich arbeitet, ist schlüssig, aber auch eine nette Pointe ihrer Biografie. Schließlich gründete Strelka Struma+Iodine einst nicht zuletzt als Gegenentwurf dazu: "Es gab in Wien damals keine Plattform für experimentelle elektronische Musik mit Club-Affinität, die sich abseits des Akademischen im Underground und den subkulturellen Nischen bewegt."
Shilla heißt die Nacht-Aktivistin wirklich, ihren Nachnamen hat sie sich bei Strelka und Belka ausgeborgt, den ersten sowjetischen Hunden, die einen Flug ins Weltall überlebt haben. Laika, die berühmte vierbeinige Space-Pionierin, hatte davor ja recht bald nach dem Start ins Gras gebissen.
Warum sie dann nicht Shilla Belka heißt?"Weil Strelka ,kleiner Pfeil' bedeutet", erklärt sie lachend. "Das finde ich gut. Ich mag das Bild, die Bewegung. Fokussiert, kontrolliert und nach vorne gerichtet."
10 Jahre Struma+Iodine: Das Werk, Fr 20.30 Podcast & Information: strumandiodine.com