Yasmina-Reza-Vertheaterung: Roadtrip ins Vernichtungslager

FALTER:Woche, FALTER:Woche 9/2023 vom 01.03.2023

Anscheinend gehen dem Theater die Stücke aus: Nach einer Kurzfassung von Thomas Manns langem Roman "Der Zauberberg" in der Burg serviert das Akademietheater eine Vertheaterung von Yasmina Rezas kurzem Roman "Serge" (Regie: Lily Sykes) in zwei pausenlosen Stunden, die sich dennoch ziemlich lang anfühlen, weil nichts wirklich funktioniert.

Eine pittoresk scheußliche Kreuzung zwischen Hotellobby und Wartesaal (Bühnenbild: Márton Ágh) fungiert als Bühne für sämtliche Schauplätze dieser Familienaufstellung mit den Geschwistern Popper im Mittelpunkt: der multipel verkrachte Weiberer Serge (Roland Koch), das harmoniesüchtige Siemandl Jean (Michael Maertens), der als Erzähler auch Romantext ins Publikum spricht, und die dauergekränkte Nana (Alexandra Henkel) repräsentieren eher Typen, als dass sie zu glaubhaften Charakteren würden: Serge hat einen Schatten auf der Lunge und will dauernd eine rauchen, was er aber (auf der Bühne) nicht mehr darf; Jean trägt seinen Pulli mit größtmöglicher Schluffigkeit, Nana macht viel mit dem Zeigefinger.

Serges Tochter Joséphine (Lilith Häßle), von der sich nicht sagen lässt, ob sie noch pubertiert oder schon erwachsen sein soll, ist Visagistin, hat aber, wie ihr Papa anmerkt, von der "Augenbrauenakademie" auf "Judenvernichtung" umgesattelt und einen Familienausflug nach Auschwitz organisiert, der in die voraussehbare Katastrophe mündet. Auf der Bühne gibt es sehr viele Türen, die alle geöffnet, und sehr viele Requisiten (Automaten, Fernbedienungen, Ghettoblaster, Helme, Legosteine, Ventilatoren ), die alle benutzt werden wollen. Es wird sehr viel telefoniert. Statt ein paar Nebenfiguren und -schauplätze zu streichen und die mit dem Tabubruch kokettierenden -aber, hey: Juden dürfen so über Juden reden! - Pointen des Romans punktgenau zu servieren, hagelt es halbgare Regieeinfälle.

Ein erektionsschwacher Theaterabend, der fatal an den aktuellen TV-Spot für die Generation Serge erinnert: Der Motor springt nicht an, die Rakete hebt nicht ab, der Zug fährt nicht in den Tunnel.

Akademietheater, Fr 19.30

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