"Das Verhältnis von geförderten und frei finanzierten Wohnungen kippt"
Die Arbeiterkammer startet mit der heutigen Veranstaltung “Wohnen für die Vielen” den nächsten Anlauf für einen dauerhaften Mietpreisdeckel. Aber was passiert, wenn das Wohnungsangebot durch eine Obergrenze sinkt? Ein FALTER.morgen-Gespräch mit Mara Verlič und Sina Moussa-Lipp von der Abteilung Wohnen und Kommunalpolitik in der AK Wien.

Sina Moussa-Lipp und Mara Verlič (© Arbeiterkammer Wien)
Sie sprechen in einer Aussendung davon, dass die Politik etwas gegen die Wohnkosten-Krise tun müsse. Ist das nicht übertrieben? Wien liegt mit durchschnittlichen Mietpreisen von EUR 8,66 pro Quadratmeter im unteren Drittel der europäischen Städte.
Verlič: Natürlich, im internationalen Vergleich steht Wien gut dar. Das ist etwas, worauf wir aufbauen können. Aber es gibt auch eine Entwicklung innerhalb der Stadt. Am Wiener Wohnungsmarkt gab es eine massive Preissteigerung in den letzten Jahrzehnten.
In Wien sind nur 28 Prozent des Wohnungsmarktes privat und damit von diesen enormen Preissteigerungen betroffen. 24 Prozent entfallen auf den Gemeindebau, der Rest sind geförderte Wohnungen und Eigentum. Ein großer Teil des Angebots ist also noch leistbar.
Verlič: Wir müssen schauen, dass wir diese wichtige Stütze des leistbaren Wohnens auch erhalten können. Die Arbeiterkammer hat erst kürzlich eine Studie zum Wohnungsneubau in Wien veröffentlicht. Wir befinden uns mitten in einem Wohnbauboom, aber die meisten Neubauten errichten gewerbliche Bauträger. Das Verhältnis von geförderten und frei finanzierten Wohnungen kippt langsam.
Zwischen 2004 und 2019 wurde kein einziger Gemeindebau errichtet. Mittlerweile ist die Bauoffensive wieder angelaufen. Bis 2025 will die Stadt 1.500 neue Gemeindewohnungen bauen. Reicht das für die wachsende Wiener Bevölkerung?
Verlič: Insgesamt wurde in Wien in den vergangenen Jahren eigentlich mehr gebaut, als es Bedarf gibt. Das Problem: Viele Investoren kamen auf den Markt und sie haben am Bedarf der Menschen vorbei gebaut. Es geht vor allem um die Mieten. Die kann sich kaum jemand leisten. Deswegen hat dieses Überangebot auch keinen preisdämpfenden Effekt.
Gibt es genug neue Gemeindebauten?
Verlič: Rund 34 Prozent der Neubauwohnungen werden aktuell im geförderten Bereich errichtet. Nur zum Vergleich: In den 90er Jahren kamen auf eine freifinanzierte Wohnung sieben geförderte. Das Verhältnis muss sich wieder in diese Richtung verschieben. Das scheitert momentan daran, dass die Bodenpreise durch den angeheizten Wohnbau massiv gestiegen sind. Dazu kommen jetzt noch die erhöhten Baukosten.
Laut dem deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung braucht Wien bis 2030 rund 110.000 zusätzliche Wohnungen. Ohne private Investoren wird es laut den Forschern nicht gehen. Die Arbeiterkammer fordert eine Mietpreisbremse. Aber internationale Beispiele zeigen, dass private Investoren sich dann vom Markt zurückziehen.
Verlič: Wenn unter den jetzigen Konditionen weitergebaut wird, geht es trotzdem am Bedarf vorbei. Dann hat man zwar einen tollen Markt, in dem Sinn, dass Kapital den Besitzer wechselt, aber man hat eben nicht mehr Wohnraum. Durch eine Mietpreisdeckelung könnte man sicherstellen, dass Leute nicht in die Armut rutschen. Das ist eigentlich die Gefahr, die momentan droht.
Volkswirt Jan Kluge von der Agenda Austria meint, die Mietpreisbremse sei nicht sozial. Vor allem Geringverdiener würden dann schwieriger leistbare Wohnungen finden, da sich Vermieter aussuchen können, wer bei Ihnen einzieht und die wenigen verbleibenden Wohnungen weiterhin an die Bewerber mit den höchsten Gehältern vergeben werden.
Verlič: Bei privaten Neuvermietungen ist das jetzt schon so. Wir brauchen die Mietpreisbremse, um leistbares Wohnen für die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen sicherzustellen. Wenn nicht gehandelt wird, dann steuern wir durch die massiven Mieterhöhungen auf eine Armutsgefährdung der Mittelschicht zu.
Wenn das Angebot durch die Mietpreisbremse knapper wird, könnte sich die Situation verschärfen.
Verlič: Wie gesagt, es werden wahnsinnig viele Wohnungen geschaffen, aber sie sind trotzdem nicht leistbar.
Viele Wohnungen werden schon jetzt nicht am Markt angeboten. Laut der von Ihnen angesprochenen AK-Studie gibt es einen Leerstand von 18 Prozent bei Neubauten. Eine Mietendeckel könnte den Leerstand weiter vergrößern.
Moussa-Lipp: Da könnte man ansetzen. Der Bund müsste die Voraussetzungen schaffen, damit die Länder eine wirkungsvolle Leerstandsabgabe umsetzen können.
Das heißt aber auch, ohne Leerstand könnte die Mietpreisbremse nach hinten losgehen, weil der Anreiz fehlt, die Wohnungen zu vermieten?
Verlič: Eine Mietpreisbremse bedeutet nicht, dass die Vermieter dann nicht mehr kostendeckend und mit Profit vermieten können. Sie deckelt nur diese massive Preissteigerungen.
Sie fordern, dass Mieten nicht mehr als zwei Prozent erhöht werden dürfen. In Spanien gilt dasselbe Modell, ebenfalls mit 2 Prozent. Dort ist das Wohnungsangebot laut dem Immobilienverband um 20 % zurückgegangen.
Verlič: Man kann den Wohnungsmarkt in Österreich und Spanien nicht eins zu eins vergleichen. Unserer Meinung nach müsste das Augenmerk aber ohnehin auf dem Ausbau des geförderten Bereichs liegen. In Zukunft müsste es so viele geförderten Wohnraum geben, dass alle, die den Bedarf haben, dort wohnen können.
Die Mieten werden im April an die Inflation angepasst. Die Einkommen steigen auch mit der Inflation. Laut Wifo steigt die Kaufkraft und der Reallohn in Österreich heuer. Das heißt, wir können uns eigentlich mehr leisten als im Vorjahr. Trotz steigender Mieten.
Moussa-Lipp: Menschen mit kleinen Einkommen leiden besonders unter der Teuerung und unter den hohen Wohnkosten. Fast jeder dritte in Österreich befürchtet inzwischen wegen der Wohnkosten in Zahlungsschwierigkeiten zu kommen. Immer mehr Menschen müssen über 40 Prozent ihres Einkommens fürs Wohnen hinlegen. Wer an der Armutsgrenze lebt, mit höchstens 1.370 Euro im Monat, dem bleiben oft nach Abzug der Wohnkosten rund 780 Euro für Essen, Kleidung und alle anderen Kosten des Lebens. Sagen Sie so jemandem mal, dass er oder sie sich bald mehr leisten kann. Aber auch über alle Einkommensgruppen verteilt, hinken die Einkommen schon seit vielen Jahren den Wohnkosten hinterher. Das Gehalt ist nie so stark gestiegen wie die Mieten. Es muss etwas bei den Wohnkosten geschehen und zwar rasch.
Demnach hätte es schon vor Jahren eine Mietpreisbremse gebraucht. Nutzen Sie die hohe Inflation, um mehr Druck für Ihre Forderung aufzubauen?
Verlič: Unsere Forderung nach einer Reform des Mietrechts gibt es schon lange. Es braucht klare Regelungen für Mietobergrenzen, ein Ende der Befristungen, eine Leerstandsabgabe. Wohnen ist ein Grundbedürfnis und so muss das auch im Mietrecht geregelt werden.
Moussa-Lipp: Die Regierung verhandelt die Novelle auch schon ewig. Im Regierungsprogramm stehen 45 Maßnahmen für leistbares Wohnen. Aber bisher ist nichts passiert. Angesichts der massiven Teuerung können wir nicht länger warten. Aber natürlich erzeugt die Preisentwicklung und die massive Betroffenheit auch zusätzlichen Druck.