NACHSPIEL: DIE KULTURKRITIK DER WOCHE

Wie ergeht es ultra-orthodoxen Juden in der säkularen Welt? Ein Theaterstück gibt klug Antwort

Anna Goldenberg
Feuilleton, FALTER 11/23 vom 15.03.2023

Eine unlösbare Rechenaufgabe, enttäuschte Eltern, ein ungeschickter Flirtversuch: scheinbar ganz normale Begebenheiten, die zum Erwachsenwerden dazugehören. Doch für Tess Meir und Avi Ofir sind sie Teil ihrer ungewöhnlichen Geschichte: Die zwei israelischen Schauspieler, die diese Episoden beim Gastspiel des Stücks "My Way" im Theater Nestroyhof Hamakom auf die Bühne brachten, wuchsen in einer ultraorthodoxen Gemeinschaft auf und verließen diese als junge Erwachsene. Umgangsformen der säkularen Gesellschaft mussten sie später ebenso erst lernen wie Gleichungen mit zwei Unbekannten. Und was tun, wenn der Vater sagt, ein Sohn, der am heiligen Ruhetag Schabbat arbeite, sei eine "Wunde" für ihn?

In Israel sind 13,5 Prozent der Bevölkerung ultraorthodox, ihren Alltag richten sie also streng nach religiösen Gesetzen aus. Was für viele erfüllend ist, wird manchen zu eng: Rund 3500 Menschen verlassen die Gemeinschaften jährlich - und verlieren damit oft den Rückhalt ihrer Familien. Die israelische NGO Out for Change, die auch das 55-minütige Theaterstück produziert hat, kümmert sich um diese Aussteiger. Meir und Ofir verweben ihre eigenen Geschichten mit jenen anderer und wechseln dabei behände die Rollen. Meir ist dann Ofirs Mutter, die damit hadert, dass der Sohn studieren will; Ofir wird zum Psychotherapeuten, dem Meir anvertraut, dass sie ihr Kind zurücklassen musste.

Deborah Feldmans Autobiografie "Unorthodox" begründete 2012 das "Aussteiger-Genre". 2020 wurden ihre Erfahrungen mit einer ultraorthodoxen New Yorker Gemeinschaft zur klischeebeladenen Netflix-Miniserie. "My Way" ist differenzierter und humorvoller. Vielleicht wird daraus irgendwann ja auch noch mehr.

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