"Totaler Krieg": Wie kam es zu Goebbels' Sportpalastrede?

Ulrich Rüdenauer
Feuilleton, FALTER 11/2023 vom 15.03.2023

Im Jahr 1943 dämmerte es Propagandaminister Joseph Goebbels, dass man die Deutschen auf schwere Zeiten vorbereiten müsse. Der "Überoptimismus", den er im Volk zu beobachten glaubte, sei "geradezu grotesk" angewachsen. Angesichts der misslichen Lage an der Ostfront sah er die Gefahr einer maßlosen Desillusionierung, falls dieser nicht vorgebaut würde.

Der Historiker und NS-Forscher Peter Longerich hat bereits eine Goebbels-Biografie verfasst. Nun wendet er sich einer der schauerlichsten Episoden in dessen Wirken zu: der berüchtigten "Sportpalastrede" vom 18. Februar 1943.

Longerich schildert anhand von Goebbels' Tagebuch und anderen Dokumenten die Genese jener Rede, die das Volk auf einen "totalen Krieg" einschwören sollte. Der Minister, der um das Vertrauen Hitlers buhlte, hatte dabei sowohl den eigenen Machtzuwachs als auch die Verschärfung des Propagandakurses im Kopf. Vor einem handverlesenen nationalsozialistisch gesinnten Publikum hielt er dann im Berliner Sportpalast seine Rede. Er appellierte darin an die Einigkeit und Geschlossenheit der Bevölkerung, warnte eindringlich vor dem Bolschewismus - und intensivierte die Angriffe auf die Juden, die er beschuldigte, das Reich "vernichten zu wollen".

Der zweite Teil des Buches widmet sich ausführlich der Rede selbst: Sie wird nach der Tonaufnahme dokumentiert und kommentiert. Abschließend geht es um die Reaktionen auf dieses rhetorische Machwerk, das als Plebiszit für einen absoluten Krieg gedacht war. So eindeutig waren diese Reaktionen jedoch nicht. Zwar versuchte das Goebbels-Ministerium, den intendierten Eindruck im Nachhinein zu verstärken. Aber der propagandistische Zweck wurde in der Bevölkerung und der ausländischen Presse durchaus durchschaut. Das Goebbels'sche Gerassel machte vielen nicht nur den Ernst der Lage bewusst, sondern auch die selbstmörderische, destruktive Verzweiflung, die sich dahinter verbarg.


Peter Longerich: Die Sportpalastrede. Goebbels und der „totale Krieg“. Siedler, 208 S., € 24,–

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