Küsse für die Kunst

Der aktuelle Wiener Ausstellungsfrühling lässt poppigen Feminismus, fürstliche Bronzen und tragbare Skulpturen in den Kunsträumen sprießen

FALTER:Woche, FALTER:Woche 12/2023 vom 21.03.2023

Foto: Orlan/Courtesy Ceysson & Bénétière

Orlan – Six Decades

Eine schöne Nackte klettert aus dem goldenen Rahmen: So versinnbildlichte Orlan bereits 1966, dass sie weder Modell noch Muse für einen Künstler sein wollte. Sie habe ihr ganzes Leben lang versucht, „den Rahmen zu sprengen, das Gitter des Käfigs zu brechen, die gläsernen Trennwände zwischen den Geschlechtern, den künstlerischen Ansätzen, den Farben der Haut, Arm und Reich sowie den Generationen zu Fall zu bringen“, betont die heute 75-Jährige in einem Interview zu ihrer Schau „Orlan – Six Decades“ bei der Sammlung Verbund.

Seit bald 20 Jahren erwirbt Gabriele Schor für den heimischen Energiekonzern Kunst und legt den Fokus dabei auf die feministische Avantgarde der Sixties und Seventies. Ab 22. März zeigt sie in der sogenannten Vertikalen Galerie – dem Stiegenhaus des Firmensitzes – Orlans inszenierte Fotos, Collagen und Videos. Die frühen Arbeiten mit emanzipatorisch-aktionistischer Stoßrichtung sind kaum bekannt, schaffte die Französin doch erst in den 1980er-Jahren mit spektakulären Schönheitsoperationen den Durchbruch.

Per Skalpell hat sie sich damals von diversen Chirurgen umwandeln lassen. Die Videos dieser Eingriffe, die die Künstlerin bei Bewusstsein erlebte, sind schwer anzusehen; ebenso die Aufnahmen ihres von Hämatomen und Schwellungen verunstalteten Gesichts. War das ein Protest gegen die Gewalt, die Frauen angetan wird? „Ich lasse mich operieren, um eine völlige Veränderung meiner Person herbeizuführen“, sagte Orlan damals über ihr schmerzhaftes Work-in-Progress, das sie als skulpturale Arbeit am eigenen Körper sah. Das auffallendste Merkmal: zwei Silikonhöcker an den Schläfen nach dem Vorbild der „Mona Lisa“, welche die Künstlerin heute mit Glitter noch stärker betont.

In Zeiten grassierender Selbstoptimierung wirken Orlans 40 Jahre alte Arbeiten visionär, auch durch deren konsequenten Einsatz von Medien. Für einen Skandal sorgte die 1947 als Mireille Porte Geborene bereits mit ihrer Performance „Le Baiser de l’artiste“: Auf einer Pariser Kunstmesse trat sie 1977 mit einem Brustpanzer auf; gegen ein 5-Franc-Stück in das dreieckige Behältnis ihres Schosses küsste sie jede und jeden. Kunstmarkt als Prostitution?

Auf Tuchfühlung mit barocker Kirchenkunst ging die Provokateurin in üppig drapierten Kostümen, die Faltenwürfe dramatisch nachstellten. Als diese abgehobene Figur zwischen Braut und Nonne trat die Künstlerin auch in Performances auf. In sechs Jahrzehnten bahnte Orlans Œuvre viele Wege, sie erfand die „Carnal Art“, die gängige Weiblichkeits- und Schönheitsideale paraphrasierte und unterlief. Und auch auf den nötigen Pfeffer hat die kämpferische Feministin nie vergessen.

Vertikale Galerie im Verbund, bis 30.6.


Jeremy Deller – Prints & Posters 1993–2023

Unter dem ironischen Titel „Warning Graphic Content“ zeigt Jeremy Deller im Kunstraum Franz-Josefs-Kai 3 seine Grafiken und Editionen der vergangenen 20 Jahre. Der für seine Videoarbeiten bekannt gewordene Brite fing in den frühen 90ern an, Poster für ausgedachte Ausstellungen über Musiker zu entwerfen. Später goss er Geistesblitze in Form, die Haltung und Humor demonstrieren.

Es sind nicht nur Sprüche wie „Stonehenge – Built by immigrants“ oder „Tax Avoidance Kills“, die Dellers rassisimus- und kapitalismuskritische Warte zeigen. Mit der Gestaltung seiner Drucke und Plakate ist der Künstler tief in den englischen Subkulturen verankert und verhilft diesen zu ihrem Recht. So auch in seinem Dokumentarfilm über die Geburt von Techno und Rave in der Thatcher-Ära, der neben anderen am 14. April im Gartenbaukino läuft. Tags darauf findet ein Artist Talk statt – not to be missed!

Franz-Josefs-Kai 3, bis 7.5.


Gegossen für die Ewigkeit

Für eine Kiste voll Gold ließ der Fürst von Liechtenstein nach der Jahrtausendwende seine beiden Palais in Wien renovieren. Der folgende Museumsbetrieb mit Altmeisterkunst wurde mangels Publikum 2011 gestoppt. Dieser März bietet jedoch die Chance, den Barockbau im Park samt Sonderschau kostenlos zu besuchen.

Der scheidende Sammlungsdirektor Johann Kräftner hievt in seiner Präsentation „Gegossen für die Ewigkeit“ rare Bronzefiguren auf die Sockel. Der Rundgang zeichnet die Entwicklung des künstlerischen Metallgusses vom „Adlerpult“ aus dem Hildesheimer Dom des 13. Jahrhunderts bis hin zu repräsentativen Reiterstatuetten der Barockzeit nach. Als „Anima Dannata“ – also „verfluchte Seele“ – wird ein furienhafter Lockenkopf bezeichnet, der nach einem Vorbild des großen römischen Bildhauers Gian Lorenzo Bernini entstanden ist. Der zweite, friedliche Kopf neben dem Zornbinkerl macht weniger her.

Palais Liechtenstein, bis 31.3.


Franz West

Bei seinem Tod 2012 zählte Franz West zu den erfolgreichsten Künstlern der Gegenwart. Die posthume Überblicksschau im Mumok ist zehn Jahre her, seitdem gab es in Wien keine West-Ausstellung mehr. Das wurmte vier hiesige Privatsammler, die nun ihre eigene Revue aufgezogen haben. Mit rund 400 Exponaten handelt es sich um eine der umfangreichsten Personalen hierzulande. Speziell aus dem Frühwerk, als der Spätzünder in den 1970ern noch nach seinem Stil suchte, sind Raritäten zu sehen.

Der Parcours führt quer durch Wests Werk: Von den Zeichnungen und mit Pin-ups bestückten Collagen zu den legendären „Passstücken“, jenen Gipsskulpturen, die befühlt und am Körper getragen werden durften. Im Atelier West entstanden Sitzmöbel und Lampen als Kunst. Großköpfe aus Pappmaché und ein runder, kackbrauner „Sitzwust“ aus Aluminium krönen diese tolle Schau.

Weihburggasse 26, bis 22.4.


Constanze Ruhm

Filmgeschichte und Musik sind die großen Leidenschaften der Wiener Künstlerin Constanze Ruhm, die in ihren Videoinstallationen der Repräsentation von Frauen nachgeht. Für die vielschichtige Soloschau „Come una pupilla al variare della luce“ begab sich Ruhm auf die Spuren der italienischen Frauenbewegung der 1970er. Die Akademieprofessorin filmte unter anderem in einem besetzten Haus, das heute die „Casa Internazionale delle Donne“ beherbergt.

Immer wieder reflektieren zerbrochene Spiegel das Licht – sie stehen für die fragmentarische Erfahrung von Zeit und Erinnerung. Ruhms Ausstellung integriert auch zwei Objektbilder der 1946 geborenen Künstlerin Suzanne Santoro, Selbstporträts in einem schwarzen Spiegel. Einen anderen Ausgangspunkt boten historische Gruppenfotos radikaler Feministinnen, die Ruhm aktualisiert, indem sie die Kämpferinnen für soziale Gerechtigkeit nachstellt.

Belvedere 21, bis 27.8.


On Stage – Kunst als Bühne

Schon vor 30 Jahren beschäftigte sich Mumok-Kurator Rainer Fuchs mit dem Bühnenhaften in Kunst und Kunstbetrieb. Bei seiner letzten großen Schau „On Stage“ inszeniert der profilierte Museumsmann mit 150 Arbeiten einen Mehrakter zwischen Drama, Lustspiel und Lehrstück. Einen Tritt verpassen einander die beiden Puppen in Paul McCarthys brutalem Figurentheater „Bavarian Kick/Bambi“, das auf die Kraftakte der Wiener Gruppe und Aktionisten trifft.

Danach folgen queere Kontrapunkte: Wer Glück hat, erwischt den Go-go-Tänzer, der hin und wieder mit Kopfhörern auf der Plattform von Feliz González-Torres auftritt. Rollenspiel mit Requisiten reizte Feministinnen wie Birgit Jürgenssen, während Jakob Lena Knebls Installationen den fetischistischen Reiz von Kunst und Design herauskitzeln. Schön, dass die Ausstellung auch über den westlichen Tellerrand blickt und Kunst von Osteuropa bis Australien bietet.

Mumok, bis 14.1.


Kiki Kogelnik

Sie wurde zwar gerne als „einzige Popkünstlerin Österreichs“ bezeichnet, trotzdem blieb das umfangreiche Werk von Kiki Kogelnik (1935–1997) jahrzehntelang liegen. Die profunde Retrospektive „Now Is the Time“ im Kunstforum zählt nun zu den Höhepunkten des Ausstellungsjahres 2023. Es ist erstaunlich, mit welch selbstsicherer Power die Kärntnerin schon 25-jährig abstrakte Großformate schuf. 1959 übersiedelte Kogelnik nach New York, wo sie Technologie- und Raumfahrtseuphorie beflügelten.

Eine Roboterskulptur, ihr „Moon Happening“ 1969 und Grafiken voller Androiden zeugen von dieser Phase. Später nahm sie die Körperumrisse von Freunden auf farbigen Vinyl ab, schnitt Schablonen aus, verwendete sie für Bilder und hängte sie als Skulpturen auf Kleiderständer. Kogelniks humorvoller Zugang zur Frauenfrage kommt in Femme-fatale-Bildern wie „Superserpent“ zum Ausdruck.

Kunstforum, bis 25.6.


Klimt. Inspired by Van Gogh, Rodin, Matisse…

Fast 60 Jahre lang hingen Gustav Klimts „Wasserschlangen II“ in einer Wohnung und wurden als Raubkunst versteckt; 2013 wechselte der Nixentraum zur Entschädigung der Erben um kolportierte 112 Millionen Euro den Eigentümer. Derzeit zählt das Gemälde zu den Knüllern eines Ausstellungsprojekts, in dem Belvedere und Van Gogh Museum Amsterdam gemeinsam die internationalen Einflüsse auf den Wiener Fin-de-Siècle-Star erforscht hat.

Was wusste Klimt etwa über die flächigen Malweisen von Vorläufern wie Monet oder Matisse? Dank der hochkarätigen Secessions-Ausstellungen, die er und seine Mitstreiter um 1900 organisierten, war der reisefaule Wiener bestens informiert. Die jetzige Schau schafft Bildpaare, um Stilverwandtschaften aufzuzeigen. Klimt bediente sich beim belgischen Symbolismus ebenso wie bei der schottischen Arts-and-Crafts-Bewegung. Von wegen „einsames Genie“!

Unteres Belvedere, bis 29.5.

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