Das Unglück der Zweisamkeit

Markus Öhrn ist ein Meister des gewaltvollen Kammerspiels, nun inszeniert er "Szenen einer Ehe" frei nach Ingmar Bergman

FALTER:Woche, FALTER:Woche 12/2023 vom 22.03.2023

Szenen einer Ehe: Elias Eilinghoff und Bettina Lieder als Vorzeigepaar Johan und Marianne, deren Beziehung nach zehn Jahren zerbricht (Foto: Leonard Steinberg)

Ein Mann mit Pappmaché-Kopf zwickt, schlägt und vergewaltigt eine Frau mit Pappmaché-Kopf. Dazwischen passiert lange nichts. Da ist nur das unerträgliche Warten auf den nächsten Gewaltausbruch, von dem sie weiß: Er wird kommen. Dazu das Klavierspiel eines Pianisten. Reale Gerichtsfälle aus Wien lieferten die Vorlage für Markus Öhrns bedrückendes, wortloses Kammerspiel "Häusliche Gewalt". Die fünfstündige Performance wurde 2018 bei den Wiener Festwochen uraufgeführt, eine Nestroy-Nominierung folgte. Das Stück hatte keinen Anfang und kein Ende, das Publikum konnte kommen und gehen, wie es wollte. Viele blieben über Stunden sitzen.

Öhrn gelang das Kunststück, in der Überzeichnung und Verzerrung der Brutalität die Strukturen häuslicher Gewalt aufzuzeigen, ohne billiges Betroffenheitstheater daraus zu machen. Und doch spürte man vor allem eines: Empathie mit der Frau.

Nun inszeniert der schwedische Künstler am Volx, der Nebenspielstätte des Volkstheaters, Ingmar Bergmans TV-Serie "Szenen einer Ehe" als Theaterstück. Mit dem Drama erzählte der Filmemacher 1973 von der Tragik der modernen Ehe. Johan und Marianne lieben sich erst, verlieren dann die Leidenschaft, lassen sich nach zehn Jahren scheiden, gehen wieder miteinander ins Bett, werden gewalttätig.

Öhrn generiert aus sechs Stunden Konversationsdrama ein nicht einmal 16 Seiten langes Theaterstück. "Ich benutze in meiner Arbeit kaum Sprache", erklärt er. "Bergman hat wunderbare Dialoge geschrieben, aber ich bin nicht gut mit Texten. Ich bin besser im Erzählen durch Körper und Sound." Zum Interview erscheint der Regisseur in fröhlich geblümten Hosen, die Haare trägt er lang, Arme und Hals sind voller Tätowierungen. Er lächelt viel, was fast überrascht, sind seine Inszenierungen doch so irre düster.

Eigentlich kommt Öhrn von der bildenden Kunst. Sein Theaterdebüt gab der Videoartist und Fotograf mit "Conte d'Amour". Es war ihm mehr oder weniger zufällig passiert. Ehemalige Schauspielstudierende aus Finnland, die er von Videodrehs während des Kunststudiums kannte, fragten, ob er mit ihnen ein Stück entwickeln wolle. Die inzwischen ausgebildeten Schauspieler nannten sich als Gruppe Nya Rampen. Öhrn, der damals in Berlin lebte, sagte zu.

Die dreistündige Performance feierte 2010 ihre Uraufführung, handelte von Josef Fritzl, dem österreichischen Monster-Patriarchen mit dem Keller, und wurde zum Hit. Das Stück, bei dem nur Männer auf der Bühne standen, tourte jahrelang zu Festivals auf der ganzen Welt.

Das Thema der patriarchalen Gewalt zieht sich durch Öhrns bisheriges Werk. "Ich bin selbst im Norden von Schweden in einem kleinen Dorf in einer patriarchalen Familie aufgewachsen", erklärt der 1972 geborene Regisseur seinen Fokus. Seit er Kunst mache, untersuche er heteronormative Familienstrukturen und toxische Geschlechterrollen. Fritzl, der seine eigene Tochter über Jahrzehnte hinweg daheim im Keller eingesperrt und mit ihr mehrere Kinder gezeugt hatte, lieferte ihm das perfekte Bild dafür.

Ein Großteil der Handlung von "Conte d'Amour" findet im Keller hinter einem Paravent statt und kann nur via Video verfolgt werden. Nur der Vater wechselt zwischen den Stockwerken. Das Spiel zwischen Verlangen und Horror erzählt davon, wie nah Zuwendung und Gewalt manchmal beieinanderliegen.

Im dreiteiligen Stück "3 Episodes of Life", 2019 bei den Festwochen uraufgeführt, verschob sich der Schwerpunkt vom häuslichen ins berufliche Umfeld.

Das Thema der Gewalt blieb, allerdings ging es nun um Machtmissbrauch im Namen der Kunst. Nackte Frauen mit Pappmaché-Köpfen "fickten" auf Anleitung eines schmierigen Regisseurs "den Boden", bespritzten sich mit Fake-Sperma, kackten Nutella und rieben sich gegenseitig mit Blut ein. Öhrn erhielt für die #Metoo-Trilogie den Nestroypreis. Er hinterfrage nicht nur Macht-, sondern auch gängige Inszenierungsstrukturen, hieß es in der Begründung.

Masken auf der Bühne sind gerade im Trend. Markus Öhrns Ästhetik prägen sie schon seit seiner zweiten Theaterarbeit 2012. Auch in "Szenen einer Ehe" tragen Elias Eilinghoff als Johan und Bettina Lieder als Marianne Masken, zudem werden ihre Stimmen künstlich verzerrt.

Diese Abstraktion schaffe eine Freiheit im Spiel, erklärt Öhrn: "Es geht mir nicht darum, psychologischen Realismus zu schaffen oder den Film eins zu eins abzubilden. Ich möchte vielmehr eine Atmosphäre kreieren, die die Geschichte transportiert." Dafür nehme er nur die Essenz aus Bergmans Sechsstünder. Was bleibt, sind vier Szenen im einfachen Bühnensetting: ein Kammerspiel.


"Szenen einer Ehe": Volx, 30.3., 20.00 www.volkstheater.at

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