Wo die Sekunde tickt: Bollywood meets Zeitphilosophie und Abstraktion

FALTER:Woche, FALTER:Woche 12/2023 vom 22.03.2023

Es ist der typische Bollywood-Sound, die Musik des indischen Massenkinos, der aus der "tresor" genannten Kellergalerie des Kunstforums ertönt. Die Videoinstallation "Traces of Time" von Kay Walkowiak führt in Geschäftslokale der Metropolen Kalkutta, Varanasi, Neu-Delhi und Chandigarh -und zwar jeweils nur eine Minute lang. Der 1980 in Salzburg geborene Künstler hat die dortigen Wanduhren gefilmt und dafür teils den Ton vor Ort verwendet (Radio!), teils Ohrwürmer aus Kinohits. Immer nach 60 Sekunden switcht die Ansicht weiter in den nächsten der 60 Shops, wo sich wieder die Patina von alten Zifferblättern mit Fotos, Reklame und Götterfiguren mischt.

Walkowiak war erstmals 2013 mit einer Residency in Indien und produzierte seither mehrere Werkgruppen über den Clash von Ost und West. Unterscheidet sich das Zeitgefühl eines Händlers in Kalkutta von einem in Wien, so die latente Frage. Die Uhren ticken für alle gleich, aber neben dem kapitalistischen Ticktack prägt auch der kulturelle Hintergrund unsere Erfahrung. Die formale Machart erinnert an "The Clock" von Christian Marclay, der ein 24-Stunden-Video allein anhand von Spielfilmszenen mit Uhren kompiliert hat. Aber Walkowiak schürft tiefer: Gegenüber der Videoprojektion hängen - rasterförmig angeordnet - Fotografien derselben Uhren. Der Kontrast zwischen den Laufbildern und den noch bunter leuchtenden Stillleben der Fotoserie "Eternal Now" wirkt reizvoll. Laut dem Künstler sind die meisten dieser Orte bereits verschwunden; den Faktor Vergänglichkeit spürt man instinktiv.

Einen Bruch mit den alltagsanekdotischen Shopinterieurs bildet eine Wandinstallation, die nur aus übergroßen (Uhr-)Zeigern besteht. Vor zehn Jahren befragte Walkowiak für sein Video "Making sense out of abstraction" Gurus, was sie von monochromen Gemälden halten. Diese hintersinnige Arbeit kommt einem nun wieder in den Sinn, wenn die Zeitfrage bis auf die (Uhr-)Zeiger entkleidet daherkommt. Walkowiaks Kunst regt philosophisch an, hat aber auch sinnlich viel zu bieten. Seine Schau lädt zum Abtauchen ein -Handy abschalten nicht vergessen! Kunstforum, bis 16.4.

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