Der andalusische Tausendsassa

Pablo Heras-Casado zählt zu den meistgehypten jungen Dirigenten. Nun kehrt er mit Monteverdi an die Staatsoper zurück

FALTER:Woche, FALTER:Woche 13/2023 vom 29.03.2023

Lässig, talentiert und extrem vielseitig: Pablo Heras-Casado (Foto: Fernando Sancho)

Pablo Heras-Casado liebt die Musik und seinen Garten in Granada. Also bringt die Autorin eine Tomatenpflanze aus eigener Anzucht mit zum Interview. Behutsam reibt er die zarten Blätter zwischen den Fingern. Es duftet nach frischen Tomaten - "und nach Sommer", sagt der spanische Dirigent.

Stolz zeigt er auf dem Handy die reiche Ernte 2022. "Wenn ich eines Tages nicht mehr dirigiere, werde ich Gärtner", lacht er und erzählt vom betörenden Duft der Orangen- und Zitronenbäume, die in seiner Heimatstadt gerade in voller Blüte stehen. Rund um den hauseigenen Brunnen gedeihen zudem Jasmin, Zypressen und ein Granatapfelbaum. Ein Teil der Anlage ist für den Küchengarten reserviert. Hier wachsen Gemüse und Kräuter, um die sich Heras-Casados Eltern kümmern, wenn ihr Sohn die Welt bereist.

In Wien probt er am Pult des Concentus Musicus gerade Monteverdis "Il ritorno d'Ulisse in patria". Vor zwei Jahren feierte Heras-Casado mit "L'incoronazione di Poppea" einen fulminanten Einstand an der Wiener Staatsoper. Nach dem "Orfeo" in der vergangenen Spielzeit vollendet er am 2. April mit dem dritten Teil den Monteverdi-Zyklus.

33 Jahre vergingen zwischen "L'Orfeo" und "Il ritorno d'Ulisse"."Es ist die erste Oper, die nicht für einen vermögenden Herrscher, sondern für bürgerliches Publikum geschrieben wurde", erklärt Heras-Casado. Das habe sich auch in der Musik niedergeschlagen: "Monteverdi war ein echtes Genie; ein Visionär, der einen neuen Stil entwickelt hat."

Für den 47-Jährigen liegt die Kraft des venezianischen Pioniers und Wegbereiters der Oper in dessen Vielschichtigkeit - von der schlichten und zugleich komplexen Musik über die Freude am Experiment mit Harmonien und Rhythmen bis zu den Charakteren, "die uns auf einer sehr menschlichen Ebene berühren".

Mit Monteverdi verbindet den Dirigenten eine jahrzehntelange Geschichte. Als Teenager singt Heras-Casado in Granada im Chor, auf dem Programm stehen Renaissance- und Barockmusik. Um sein Repertoire zu erweitern, gründet er während des Studiums das Vokalensemble Capella Exaudi; wenig später ruft er das avantgardistische Ensemble Sonóora ins Leben. Schon damals treiben ihn grenzenlose Offenheit und eine offenkundig unstillbare Neugierde an.

Dabei spielt die Musik zu Hause - der Vater ist Polizist, die Mutter Hausfrau - keine besondere Rolle. Als Kind spielt Heras-Casado leidenschaftlich Fußball, noch gestaltet sich alles ganz unauffällig. Mit acht wechselt er die Schule. Dort wird die Möglichkeit angeboten, ein Instrument zu lernen; Heras-Casado wählt das Klavier. "Ich bin nach Hause gelaufen und habe meinem Vater ganz aufgeregt erzählt, dass ich jetzt Klavier spielen werde", erinnert er sich. "Obwohl meine Eltern nicht viel Geld hatten, stand kurze Zeit später ein Yamaha-Pianino in unserem Wohnzimmer." Druck oder gar Drill erfährt Heras-Casado nicht. Er interessiert sich für Geologie, studiert Kunstgeschichte und Schauspiel, ehe er sich ausschließlich dem Dirigieren widmet.

Sein Bühnendebüt gibt er mit gerade einmal 18 Jahren am Pult des Orquesta Ciudad de Granada. Danach geht es steil bergauf: Mit Anfang 20 wird er zum Assistenzdirigenten an der Deutschen Oper Berlin und der Opéra de Paris ernannt, es folgen Debüts in den USA, Japan, England, der Schweiz und Deutschland. Mittlerweile dirigiert Heras-Casado die besten Orchester der Welt und ist in der Oper ebenso zuhause wie im Konzertsaal.

Sein Repertoire reicht von Monteverdi bis Mendelssohn, von Strawinsky bis Ligeti, von Verdi bis Zimmermann, von de Falla bis Debussy. 30 Alben umfasst seine Diskografie. Diesen Sommer wird er in Bayreuth mit Wagners "Parsifal" debütieren.

Mit dem belgischen Originalklangensemble Anima Eterna Brugge wagt sich Heras-Casado erstmals an die sinfonischen Welten Anton Bruckners heran: "Arbeitet man mit historischen Instrumenten, kann man sich nicht hinter dem opulenten Klang moderner Sinfonieorchester verstecken. Umso mehr lassen sich die Extreme eines Stücks noch deutlicher hervorbringen, und die Musik klingt wieder wie neu."

Offenheit und Neugierde prägen auch seine Arbeit als Dirigent: "Ein Orchester zu leiten ist keine Ein-Mann-Show. Es geht darum, gemeinsam Ideen zu verwirklichen", sagt Heras-Casado. Das funktioniere nur im Dialog.

Bestimmtheit und Selbstvertrauen seien zwar Teil des Berufs. "Mein Verständnis von Autorität hat aber nichts mit Ego zu tun, sondern mit solidem musikalischem Handwerk und gegenseitigem Vertrauen. Ich will immer ein Teil des Kollektivs sein."

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