"Wir erklären uns Gegenwart mit alten Figuren"

Sandra Hüller brilliert in "Sisi & Ich" als Hofdame der Kaiserin. Ein Gespräch über Freundschaft und Abhängigkeit

Julia Pühringer
FALTER:Woche, FALTER:Woche 14/2023 vom 05.04.2023

Irma Sztáray, die letzte Hofdame Sisis, und Kaiserin Elisabeth genießen auf Korfu ihre Freiheit: Es spielen Sandra Hüller und Susanne Wolff (Foto: DCM/Bernd Spauke)

Kaiserin Elisabeth (Susanne Wolf) führt auf Korfu ein zurückgezogenes Leben, fern der Öffentlichkeit und ihres Gatten Franz Joseph. Die Hofdame Gräfin Irma Sztáray (Sandra Hüller) betreut sie. Sisis Charisma entflammt Irmas Herz, doch hat sie auch unter der Exzentrik und den Depressionen der Kaiserin zu leiden. Diese verschlimmern sich noch, als die beiden nach Wien an den Hof zurückkehren.

Regisseurin Frauke Finsterwalder und Autor Christian Kracht erzählen in "Sisi & ich" zu einem modernen Soundtrack von Regelbrüchen im strengen Regelwerk - und interpretieren, wie zuletzt schon Marie Kreutzers "Corsage", das Kaiserinnen-Leben und sein Ende noch einmal neu.

Falter: Frau Hüller, wie finden Sie Sisis und Irmas ungewöhnliche Freundschaft?

Sandra Hüller: Mich beschäftigt die Frage, ob das denn eine Freundschaft ist, ob Freundschaft in der Abhängigkeit überhaupt funktioniert oder ob das dann nicht einfach eine Abhängigkeit ist? Eine der beiden hält es zwischendurch immer mal für eine Freundschaft, aber man weiß es eben nicht. Gehört auch Grausamkeit zu einer Freundschaft? Die beiden Frauen sind verbunden durch ihre Biografien.

Wie ist es zu dem Film gekommen?

Hüller: Ich kenne die Geschichte so, dass sich Frauke Finsterwalder mit ihrer Tochter die alten "Sissi"-Filme angeschaut hat und die Tochter so viele Fragen hatte, dass sie darüber angefangen hat, sich mit dieser Frau auseinanderzusetzen. Ich glaube, dass es ihr widerstrebt hat, einfach einen Film über Elisabeth zu machen, sondern sie sich eher über so eine Konstellation Gedanken gemacht hat: Wie ist das, mit so jemandem zusammenleben zu müssen oder zu dürfen? Was bedeutet das?

Klassische Sisi-Figur zeigt dieser Film jedenfalls keine.

Hüller: Ich selbst bin nicht mit den Romy-Schneider-Filmen aufgewachsen, deswegen hatte ich da nicht so eine Ehrfurcht. Im Vorfeld der Arbeit habe ich sie mir jedoch noch einmal angesehen und fand das - bei allem Märchenhaften daran - wahnsinnig faszinierend. Als Geschichte, als Narrativ, als Frauenfigur ist das für mich schwierig, aber wie Romy Schneider das spielt, ist wirklich irre. Was da so durchscheint, durch diese ganze Sahne, sozusagen, finde ich unglaublich klar und liebevoll.

Was hat es mit der aktuellen Tendenz auf sich, die Gegenwart im Kino durch die Linse des Historischen betrachten zu wollen?

Hüller: Das Verlangen, Gegenwart zu verstehen, indem man sich an der Vergangenheit bedient, gab es immer schon. Ich kann da nur aufs Theater verweisen, da machen wir das die ganze Zeit. Wir erklären uns Gegenwart mit alten Figuren. Klar gibt es auch Gegenwartstheater, aber wenn wir in Bochum "Hamlet" machen, sind wir genau hier. Das hilft manchmal, Worte zu finden für etwas, das man nicht so richtig greifen kann, weil man selbst mittendrin steckt.

Haben Sie etwas Neues über Kaiserin Elisabeth erfahren?

Hüller: Na, ich wusste ja gar nichts. Insofern habe ich eigentlich alles erfahren. Frauke wollte nicht, dass wir etwas über die realen Figuren lesen, hören oder sehen. Dadurch habe ich mich im Vorfeld auch gar nicht bewusst damit beschäftigt. Ich glaube, dass Elisabeth eine Folie ist, um etwas über Abhängigkeiten zu erzählen oder darüber, wie Beziehungen funktionieren.

Ein gänzlich weibliches Refugium gibt es im Film dann doch nicht.

Hüller: Nein, es ist auf jeden Fall nicht frei von Macht und Machtmissbrauch, von Demütigungen und Schmerzen, die zugefügt werden.

Wieso ist Sisi überhaupt von Korfu zurückgekehrt?

Hüller: Das frage ich mich auch. Vermutlich war es nicht zuletzt eine Geldfrage, denn ansonsten wäre der Hahn zu gewesen. So ein Leben mit Bediensteten, das kostet ja auch was. Dann hätte sie schauen können, woher sie ihre Austern kriegt oder was auch immer. Gleichzeitig erzählt es etwas über jemanden, der in seinem Leid dann doch verharrt und keinen anderen Ausweg sieht. Für mich war es immer auch eine Erzählung über eine Erzählung, die jemand über sich selbst macht. Sie hätte sich natürlich auch etwas anderes über sich selbst erzählen können, hat sie aber nicht gemacht.

Haben Sie "Corsage" gesehen?

Hüller: Susanne Wolf und ich haben ihn uns sofort, als er rauskam, angeguckt - zeitgleich, in verschiedenen Städten, weil wir so gespannt waren.

Eine gewisse Verwandtschaft besteht zwischen den beiden Filmen, oder?

Hüller: Ja, aber insgesamt ist "Corsage" melancholischer, schwermütiger. Er erzählt in meinen Augen mehr über das Ungezogensein. Wobei diese beiden Filme total gut nebeneinander existieren. Sie haben so unterschiedliche Grundfarben, dass sie einander nicht aufheben.


Sandra Hüller, 1978 in Suhl geboren, studierte an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. 2003 wurde sie von "Theater heute" zur Nachwuchsschauspielerin des Jahres gewählt, dazu später für ihre Rolle der Penthesilea und des Hamlet (Regie: Johan Simons) viermal zur Schauspielerin des Jahres. Im Kino glänzte Hüller in Filmen wie "Requiem", "Finsterworld","Toni Erdmann" und "Ich bin dein Mensch". Seit 2018 ist sie Ensemblemitglied am Schauspielhaus Bochum

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