"Jetzt schaue ich recht positiv in die Zukunft"

Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow stellt im Volkstheater sein neues Buch vor, "Ich tauche auf". Die Gitarre bringt er auch mit

FALTER:Woche, FALTER:Woche 16/2023 vom 19.04.2023

Dirk von Lowtzow hatte eine Idee. Der Sänger der deutschen Band Tocotronic wollte die zwölf Monate vor seinem 50. Geburtstag hindurch Tagebuch führen und vom Wechselspiel zwischen dem öffentlichen und dem privaten Leben eines Musikers erzählen. Dann kam alles anders, setzen die Aufzeichnungen doch just mit dem Beginn des ersten Lockdowns 2020 ein.

Von Rückenschmerzen, Schlafstörungen und dem Ringen mit Dämonen handelt "Ich tauche auf" nun, vom brüchigen Selbstverständnis als Künstler, einem zum Leben erwachten Stofftier - aber auch der Liebe. Zu J., dem Menschen an der Seite des Sängers, und nach wie vor auch zur Musik. Die Tour zum Buch bestreitet der 52-Jährige mit leichtem Gepäck per Zug, eingestreute Lieder lockern seine Lesung auf.

Falter: Herr von Lowtzow, wie geht es Ihrem Rücken?

Dirk von Lowtzow: Im Augenblick ganz gut, womöglich machen sich die ausdauernden Rückenübungen bezahlt. Meine Probleme hatten mit Überlastung zu tun, einer Berufskrankheit. An Musikakademien sind gern orthopädische Zentren und physiotherapeutische Einrichtungen angeschlossen - aus gutem Grund! Obendrein war wohl auch Spazierengehen ein Problem.

Der Klassiker also: zu wenig Bewegung?

Von Lowtzow: Im Gegenteil. 2020 war ich wahnsinnig viel spazieren, man konnte sich ja nur so mit anderen treffen. Mich hat das stundenlange Gehen offenbar überlastet, es hat sich aber im wahrsten Sinne des Wortes wieder eingerenkt. Die Rückenschmerzen kommen derart prominent vor, weil ich fand, dass so ein Tagebuch ein gewisses Leitmotiv braucht, einen Running Gag. Vieles im Buch ist recht slapstickhaft, die Umwelt wird manchmal bewusst comichaft verzerrt dargestellt. Die diversen Ausflüge zu Osteopathen und Physiotherapeutinnen haben da gut dazugepasst.

Lange Zeit haben Sie in Interviews kaum Persönliches preisgegeben. Nun erzählen Sie ganz direkt und offen aus Ihrem Leben. Wie kommt es dazu?

Von Lowtzow: Rein Privates würde ich nicht an die Öffentlichkeit tragen, vor allem, sobald Dritte dazukommen. Bei autofiktionaler Literatur wird es schnell unappetitlich, wenn die Ebene der Diskretion verlorengeht. Mir ist wichtig, etwas von mir preiszugeben, sonst wäre ein derartiges Unterfangen ja sinnlos. Gleichzeitig sollten das auch literarische Figuren sein können. Bei aller Literarisierung sind zwar tatsächlich ungefiltert Gedanken von mir dokumentiert, vieles im Buch ist bei genauerer Betrachtung aber doch deutlich komödiantischer, als es auf den ersten Blick aussieht. Mir war es wichtig, mich selbst ein Stück weit als skurrile Figur darzustellen.

Musik hat in Ihrem Leben früh schon eine große Rolle gespielt. Wie war das mit Büchern, mit Literatur?

Von Lowzow: Eigentlich lief das parallel. In meiner Heimatstadt Offenburg gab es eine gut bestückte Stadtbibliothek, und es war total spannend, da als junger Mensch herumzustöbern und nach Büchern zu suchen, die im elterlichen Haushalt fehlten. Das waren nämlich die interessanten, Horror- und Undergroundliteratur etwa. Alles Abseitige und Schräge halt. Diese Bücher hatten eine ähnliche Wirkung auf mich wie Musik, und sie haben auch eine ähnliche Energie freigesetzt.

Was glauben Sie als Science-Fiction-Fan: Wird künstliche Intelligenz bald passable Tocotronic-Songs schreiben?

Von Lowtzow: Warum nicht, so schwer ist das doch nicht! Die eigentliche Frage ist doch, was ein Tocotronic-Song ist. Das, was man dafür hält? Oder ist es doch an ganz bestimmte Personen gebunden? Worin liegt der Unterschied zwischen der menschlichen und der künstlichen Intelligenz? Da wird es schnell philosophisch. Offensichtlich ist, wie stark sich die Musikproduktion seit unseren Anfängen in den frühen 90er-Jahren verändert hat, und da kann man dann schon ins Grübeln kommen. Vom Dichter Thomas Brasch gibt es diese schönen Zeilen: "Nach der Arbeit an den Maschinen / Träumen die Leute von den Maschinen / Wovon träumen die Maschinen / Nach der Arbeit an den Leuten?" Ein durchaus reizvoller Gedanke, wie ich finde.

"Ich weiß nicht, ob der Mensch im Ganzen verschwinden wird. Für Indie-RockMusiker trifft diese Feststellung aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu", haben Sie am 17. Juli 2020 in Ihr Tagebuch notiert. Warum das?

Von Lowtzow: Durch das gesamte Buch zieht sich eine Selbstbefragung. Einerseits ist das quälend, anderseits macht es mir aber auch Spaß, das eigene Selbstbild ein bisschen zu zertrümmern. "Sei dir deinen eigenen Verdiensten nicht zu sicher!", lautet die Kernaussage. Ob es in 20,30 Jahren noch Indie-Bands geben wird, ist zweitrangig. Es geht um Relevanz und das Hinterfragen der eigenen Positionen. Jener des im Indie-Rocksong durchaus prominenten Außenseiters etwa. Die ist im Grunde genommen snobistisch, denn tatsächlich Ausgeschlossene, Subalterne haben ganz andere Probleme.

Auch Sie haben 2020 Corona-Hilfe beantragt. Tocotronics Ruhm steht also in keiner Relation zum angehäuften Reichtum?

Von Lowtzow: Spielt man nicht in der obersten Liga, ist Rockmusiker:in kein Beruf, mit dem man sich eine goldene Nase verdienen kann. Wir sind in der komfortablen Lage, dass tatsächlich Ersparnisse da sind. Nur waren die fürs Alter gedacht, nicht zur Überbrückung einer Pandemie. Rentenkassen für alternde Rockmusiker:innen gibt es bislang ja keine. Fallen Konzerte als einzig halbwegs sichere Einnahmequelle weg, wird einem schlagartig klar, wie dünn das Eis ist, auf dem man sich bewegt.

2022 mussten selbst Tocotronic eine Tour wegen schlechter Ticketverkaufszahlen absagen. Wie blicken Sie in die Zukunft?

Von Lowtzow: Uns war bei der Absage Transparenz wichtig, wir wollten keine Ausflüchte vorschieben. Viele Termine der Lesetour sind vorab ausverkauft, es renkt sich also wieder ein. Zu allen Unsicherheiten der Pandemie kam 2022 noch der Ukraine-Krieg, obendrein war die Chance groß, sich bei Konzerten zu infizieren: Es wird mitgesungen, das Bier schwappt, die Menschen stehen dicht an dicht. Und dafür soll ich, zumal in Zeiten der Inflation, auch noch ein teures Ticket kaufen? Ich verstehe alle, die da zögerlich waren. Jetzt schaue ich aber recht positiv in die Zukunft. Ich freue mich auch darauf, wieder eine neue Tocotronic-Platte zu machen, im Herbst geht es mit ersten Aufnahmen los. Aber wer weiß bei allem Optimismus schon, was noch passieren wird. Die allgemeinen Zukunftsaussichten sind ja doch nicht die rosigsten.


Dirk von Lowtzow: Ich tauche auf. Kiepenheuer & Witsch, 226 S., € 22,70 Volkstheater, 21.4., 20.00

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