Apocalypse now?
Kommst Krems, kriegst kontroverse Kunst, kannst krachige Krisenreflexionen konsumieren: Das Donaufestival lockt von 28. April bis 7. Mai an zwei Wochenenden mit üppigem Programm einmal mehr zur Landpartie nach Niederösterreich

Das Duo Amnesia Scanner vertont mit dem Künstler Freeka Tet kollabierende Ökosysteme (Foto: VIlle Kallio)
Das Donaufestival konfrontiert sein Publikum mit neuen Ästhetiken und Denkräumen, fasziniert, verstört, regt zum Diskurs an, inspiriert“, schreibt Johanna Mikl-Leitner in ihrem Grußwort an das Publikum des Kremser Großevents, das heuer von 28. April bis 7. Mai stattfindet. Was wohl ihr FPÖ-Koalitionspartner, der stramme Liederbuch-Recke Udo Landbauer, zur Faszination des Verstörenden dieser Mischung aus Performance, Kunst, Diskurs und abenteuerlustigem Pop unterschiedlicher Couleur meint?
Wobei, in einem Punkt sollte er „korrräkt!“ sagen: Das international renommierte Festival, das alljährlich Ende April wie ein Ufo in der niederösterreichischen Provinz landet, erfüllt die neuerdings gesetzlich verordnete Panierquote vorbildlich: So verwegen das kulturelle Angebot sein mag, die im überschaubaren Gastrobereich gereichte Schnitzelsemmel verkündet klar und deutlich: Keine Experimente!
„Kunst und Kultur sind wichtige Lebensmittel und Energiespender“, schreibt die ÖVP-Landeshauptfrau obendrein. „Die Schnitzelsemmel ist mir ungleich lieber“, würde der Landbauer Udo darauf wohl antworten. Interessanter als die Nahrungsmetapher ist freilich der Begriff „Energiespender“, lautet das Thema des vom Journalisten und Kulturtheoretiker Thomas Edlinger kuratierten Festivals diesmal doch „Beyond Human“. Entwirft er eine euphorische Science-Fiction-Utopie? Mitnichten.
Eine ganze Reihe an Programmpunkten widmet sich der Sorge vor der Klima-Apokalypse. „Müssen wir uns radikal neu entwerfen, um eine Zukunft zu haben“, fragt Edlinger und gibt eine produktive Antwort: „Vielleicht brauchen wir nicht nur eine dekoloniale Ökologie, sondern eine bislang ungeahnte Vorstellung einer Welt voller Intelligenzen, die nicht nur in menschlichen Gehirnen und digitalen Maschinen, sondern auch in ,denkenden Wäldern‘ oder im ,Internet der Tiere‘ hausen.“
Vertiefen lässt sich das etwa in Kunstinstallationen zu Biodiversität und Nachhaltigkeit („Climate Feedback Loops“ in der Kunsthalle Krems, „Schwarm/Essaim“ im Klangraum Krems), in Vorträgen – „Notfallkunst und Klimaaktivismus“ (Kunsthalle Krems, 29.4., 15.30 Uhr) oder „Alien protocol: From the anthropocene to the alienocene“ (Kino im Kesselhaus, 6.5., 14 Uhr) und Workshops („Zur Kultivierung der Katastrophe“, Forum Frohner, 6.5., 14.30 Uhr).
Das Thema prägt Performances und hat auch im Musikprogramm Spuren hinterlassen. Am deutlichsten in der Kooperation der finnischen Weltuntergangs-Popper Amnesia Scanner mit dem französischen Künstler Freeka Tet (Foto oben, Stadtsaal, 5.5., 22.30 Uhr). „Isolation und das Überleben in den kollabierenden Ökosystemen und Informationsumgebungen unserer Gegenwart“, lautet ihre Themenstellung. In diesem Sinne: Tanz die Apokalypse!
Italo ohne Pop: Heith feat. Declino
Der italienische Multiinstrumentalist Daniele Guerrini produziert als Heith Musik, die eher zum bewussten Zuhören als zu körperlicher Reaktion einlädt. Stilistisch geht sie vielfältige Wege: Minimal Music ist Guerrini ebenso vertraut wie Folk, gegen krawallige Schroffheit spricht prinzipiell aber auch nichts. Dass Heith sein aktuelles Album „X, Wheel“ am 29. April nicht als reguläres Konzert, sondern als audiovisuelle Inszenierung vorstellt, ist durchaus schlüssig.
Auch das Auftaktkonzert des zweiten Festivaltags ist italienischen Ursprungs, tönt aber völlig anders: Silvia Tarozzi & Deborah Walker singen zur Begleitung von Cello und Geige Lieder über Krieg, Arbeit und Liebe, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Emilia-Romagna entstanden sind (Minoritenkirche, 16.30).
Klangraum Krems Minoritenkirche, 29.4., 18.00
Die vielseitige Nwando Ebizie
„Afrofuturist multidisciplinary artist“ steht auf Nwando Ebizies Visitenkarte. In den Angaben zur Person führt die junge Engländerin auf ihrer Website im Detail aus, wofür das vielstrapazierte Wort „multidisziplinär“ bei ihr steht: Von Musikerin, Komponistin und DJ reicht das Selbstverständnis über Träumerin, Mentorin, Kuratorin und Performerin bis zu Autorin, Tänzerin und Visionärin. Als verbindendes Element nennt Ebizie den Wunsch nach radikaler Veränderung.
Ihre Produktionen beschreibt das Festivalprogramm als „Voodoo-Musik aus der Zukunft“; bisweilen gehen sie aber auch einfach als dynamischer Clubsound der Gegenwart durch. Neben Ebizie spielen zum Auftakt des zweiten Festivalwochenendes am 5. Mai unter anderem noch die dänische Lärm-Exorzistin Puce Mary (Minoritenkirche, 18.00) und die kanadische Polit-Industrial-Rapperin Debby Friday (Halle 2, 23.30).
Halle 2, 5.5., 21.30
Marina Herlops Zauber der Stimme
Eigentlich ist Marina Herlop ja ausgebildete Pianistin. Das Klavier nutzt die spanische Musikerin heute aber lediglich in präparierter Form, ergänzt um digitale Klänge aus der Maschine. Darüber singt sie, oder besser gesagt: Sie setzt ihre extravagante Stimme kreativ ein, irgendwo zwischen Kindlichkeit und Entrücktheit; auch Beats bastelt sie aus Atemgeräuschen. Heraus kommt Weird Folk mit futuristischem Antlitz, aber auch geprägt von Zärtlichkeit und Wärme.
Den Festivalausklang am 7. Mai in der Minoritenkirche komplettieren der Künstler, Jazzer und Spoken-Word-Poet Slauson Malone (18.30) sowie die in Pakistan geborene und heute in New York lebende Sängerin Arooj Aftab, die die Sufi-Gesangstradition mit Jazz und Electronica verbindet (20.00).
Klangraum Krems Minoritenkirche, 7.5., 17.00
Schonungsloses Solo: Harald Beharie
„Batty Bwoy“ (wörtlich: „Arsch-Junge“) ist ein stark abwertender jamaikanischer Slangausdruck für eine homosexuelle beziehungsweise queere Person. Harald Beharie eignet sich den Begriff in „Batty Bwoy“ zu dröhnendem norwegischen Progrock wieder an. In seinem Solo kennt der norwegisch-jamaikanische Performer und Choreograf keine Schonung mit sich selbst: Er thematisiert die Angst vor dem queeren Körper; er beschwört dämonische Empfindungen und betörende Grausamkeiten herauf; er offenbart Verletzlichkeiten und feiert Momente der Souveränität.
Halle 3, 28. und 29.4., 20.30 sowie 30.4. 20.00
Operation Tinnitus: Tanz brutal mit Petronn Sphene
Musik, die eigentlich nur mehr Lärm ist, bestialisch laut und menschenverachtend in ihrer ästhetischen Grundanmutung – was manche als Vorwurf zu einem traditionsreichen Strang im Musikprogramm beim Donaufestival formulieren, gilt anderen als Qualitätsmerkmal: Klänge, die nicht nur körperlich spürbar sind, sondern schlichtweg keinen Stein auf dem anderen lassen.
Alarmstufe Rot gilt heuer vor allem bei Petronn Sphene am Eröffnungsabend: Die Musikerin aus Leeds hat ihre Maschinen auf Zerstörung programmiert und brüllt über dieses Geböller mit einer Intensität, der standzuhalten vermutlich die Mutprobe dieser Festivalausgabe sein wird. Wer den sinistren Lärm lieber traditioneller verabreicht bekommt, ist direkt danach bei Godflesh im Stadtsaal gut aufgehoben, einer britischen Institution im Zeichen fieser Härte.
Halle 2, 28.4., 21.30
Müllhalde als Religionsstätte: Toxic Temple
Was bleibt übrig, wenn wir Menschen nicht mehr sind? Berge von Müll, Gift, radioaktive Strahlen, Technoschrott. Während des gesamten Festivals beten die Religionsstifter:innen des sogenannten Toxic Temple all das an, was die Menschheit auf dieser Erde hinterlässt. Ihre Basis hat die Künstler:innen-Gruppe um Kilian Jörg und Anna Lerchbaumer im Frohner Forum, von dort aus führt sie unter dem Titel „Mess“ ihre Rituale auf dem gesamten Festivalgelände durch, inklusive einer frühabendlichen Prozession vom Minoritenplatz in Stein in die Dominikanerkirche in Krems (30.4.).
Forum Frohner, 28.4., 17.00 bis 19.00; 29.4., 15.30 bis 19.00; 30.4., 14.30 bis 18.00
Hüma Utku liefert düstere Dröhnungen
„Fuel For The Flames“ titelt das erste Stück ihres aktuellen Albums „The Psychologist“, „Benzin für die Flammen“ also. Und nein, sonderlich gemütlich geht es bei Hüma Utku nicht zu. In Istanbul aufgewachsen und, wie so viele, irgendwann in Berlin gelandet, verbindet sie als Produzentin und DJ die schroffe Endzeitästhetik des Industrial mit Elementen traditioneller anatolischer Musik und tönenden Mitbringseln ihrer Reisen durch den arabischen Raum.
Dass Utkus Konzert in der Minoritenkirche stattfindet, passt gut, wohnt ihrer düsteren Dröhnung bei aller Bedrohlichkeit doch auch etwas Sakrales inne. Wer sich eher nach der ausgelassenen Partyversion arabischer Musik sehnt, ist einige Stunden später bei Omar Souleyman bestens aufgehoben: Der syrische Hochzeitssänger mit dem Techno-Diplom spielt am 30. April im 22 Uhr im Stadtsaal.
Klangraum Krems Minoritenkirche, 30.4., 15.30
Schimpfen mit Schmäh: Zebra Katz
Ein Kunststudium war noch nie die schlechteste Voraussetzung für interessantes Popschaffen. So auch beim Berlin-affinen New Yorker Ojay Morgan. Vor gut zehn Jahren hat er die queere Figur Zebra Katz als goschertes Rap-Alter-Ego entworfen und mit dem Song „Ima Read“ gleich einen feschen Szene-Hit geliefert. Sein Fachgebiet: Schimpfen, aber mit Hirn und Schmäh statt mit Schaum vor dem Mund. Mit seinem Debütalbum ließ sich Zebra Katz dann lange Zeit, zu Beginn der Pandemie ist „Less Is Moor“ 2020 endlich erschienen.
Stadtsaal, 29.4., 22.30
Anna-Marija Adomaityte: Porträt des arbeitenden Körpers
Basierend auf der eigenen Arbeitserfahrung in einer Filiale von McDonald’s sowie auf Interviews mit Mitarbeiter:innen von Fast-Food-Restaurants untersucht die litauische Tänzerin Anna-Marija Adomaityte in ihrer Performance „Workpiece“ die physischen und sozialen Bedingungen dieser Tätigkeit. Welchen Effekt hat die Monotonie auf Leib und Seele?
Begleitet wird ihr Porträt des arbeitenden Körpers von Gautier Teuschers pumpendem, gleichmäßigem Noise-Livesound. In kühles Licht getaucht bleibt Adomaityte dazu aktiv: Ihre zuckenden, ruckartigen Bewegungen erinnern an Fließbandarbeit wie auch an die Arbeit am eigenen Körper im Fitnessstudio. Fast könnte es ein Roboter sein, der hier auf der Bühne steht. Jede Bewegung ist vorprogrammiert: Eine getanzte Kritik an unserer Leistungsgesellschaft.
Halle 3, 5.5., 22.30 bis 23.00; 6.5., 22.00 bis 22.30; 7.5., 16.00 bis 16.30
28. April bis 7. Mai