Die Welt in Wien
Vor 150 Jahren war Wien der Nabel der Welt. Die am 1. Mai 1873 eröffnete, beispiellose Weltausstellung sollte das Prestige des Kaisers retten. Mit der Cholera und dem Börsenkrach hatte er nicht gerechnet. Eine historische Reportage

Dort, wo heute die Wirtschaftsuni, die Messe, die Trabrennbahn und das Happel-Stadion sind, entstand im Jahr 1873 eine Stadt in der Stadt (Foto: Birgit und Peter Kainz/Wien Museum/CC BY 4.0)
Jessas Maria!“, faucht der Kutscher, als er die fünf Koffer von insgesamt 150 Kilogramm sieht. Am 30. April 1873 um 22 Uhr kommt Emily Birchall am Wiener Bahnhof an – in einer ganz und gar widersprüchlichen Stadt.
Für drei Gulden ziehen zwei Pferde sie vors Hotel zum Goldenen Lamm in der Leopoldstadt, nichts stört das Klappern der Hufe auf der städtischen Steinlandschaft, Nachtleben ist damals noch nicht erfunden. In der Nase setzt sich der Geruch von Pferdekot fest, und der von Essensresten auf nie gesäuberten Straßen. Doch die Moderne kündigt sich schon an: Die ersten Telegrafenmasten, die 40.000 Gasflammen zur Straßenbeleuchtung, die Dutzenden Baustellen und der Rauchfangqualm tausender neuer Wohnhäuser.
Wien war in jenem Moment der Mittelpunkt der Welt. Denn am nächsten Morgen begann die Weltausstellung, das größte Event jener Zeit. Der Kaiser hatte eine 2.330.631 Quadratmeter große Planstadt in den Prater bauen lassen, ein halbes Jahr lang sollten Unternehmen, Künstler und Regierungen von 35 souveränen Staaten und ihren Kolonien „das Culturleben der Gegenwart und das Gesammtgebiet der Volkswirthschaft“ wiedergeben.