Wien - Stadt der Anschläge
Die Wienbibliothek feiert das 100-jährige Bestehen ihrer Plakatsammlung mit einem Jubiläumsband voller Highlights
Alles sammeln, was jemals in Wien affichiert wurde und wird": So lautet das Motto, unter dem seit 1923 in der Wienbibliothek Plakate bewahrt werden. Nicht nur Politisches und künstlerisch Wertvolles, sondern auch alltägliches Material wie Werbung umfasst die Sammlung.
In den vergangenen 100 Jahren kamen rund 400.000 Objekte zusammen, deren Geschichte und Gestaltungsreichtum nun ein Jubiläumsband dokumentiert. Die von Julia König und Bernhard Hachleitner herausgegebene Publikation "Das Plakat in der Stadt" wird am 27. April bei einem Festakt mit Bürgermeister Ludwig präsentiert. Es ist kein Zufall, dass die Sammlung im Roten Wien startete: In der Monarchie waren Plakate - vor allem mit politischer Botschaft - nur stark eingeschränkt erlaubt.
Als Erste haben Artisten, Schausteller und Feuerwerker Mitte des 18. Jahrhunderts ihre Aufführungen mit Handzetteln und Anschlägen beworben. Aus jener Zeit, als im Wiener Hetztheater wilde Tiere aufeinander losgelassen wurden, stammen die ältesten Exponate der Plakatsammlung im Rathaus. Im Revolutionsjahr 1848 überzogen Kampfparolen den Stadtraum. Das moderne Plakat als Werbemedium, meist im Format A3, entstand im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.
1921 wurde das "Gemeinde Wien Städtische Ankündigungsunternehmen" als Reklameabteilung der Straßenbahn gegründet. Durch die Gewista konnte mit Außenwerbung Geld verdient werden. Gleichzeitig sollte sie das Stadtbild vor "regelloser Plakatierung" schützen - ein Kontrollorgan also, ein lukratives obendrein.
"Wie kommt das Plakat in die Stadt?", fragt Christian Maryška in seinem Beitrag zur Jubiläumspublikation. Der Kurator der Nationalbibliothek widmet sich dem Plakatuntergrund, von der zugekleisterten Hausmauer über Ankündigungstafeln und Kioske entlang der Ringstraße bis zum modernen "rolling board".
Neben Politpropaganda und Werbung erkannten in Wien die Secessionisten und auch die Filmindustrie früh das Aufmerksamkeitspotenzial der Poster. So wurden neue Kinostreifen gerne skandalöser präsentiert, als sie de facto waren. Wiener Grafiker wie Joseph Binder, Julius Klinger und Hermann Kosel erfuhren für ihre Werbekampagnen und Corporate Designs schon früh Wertschätzung in den USA.
Während der Diktaturen, der austrofaschistischen und der nationalsozialistischen, waren Plakate ausschließlich Sprachrohr der Regierungen, halten die Herausgeber des Bands fest. Wahlwerbung wurde nach dem sogenannten "Anschluss" ohnehin keine mehr gebraucht, gab es doch nur die NSDAP.
Auch was sich zivilgesellschaftlich ab den 1970er-Jahren regte, lässt sich an den Anschlägen ablesen. Aktivistinnen und Aktivisten der Frauen-, Friedens- und Homosexuellenbewegung kommunizierten schnell und breit durch nachts angebrachte Affiches. Egal ob es um die Besetzung der Arena oder den Protest gegen das Kraftwerk Zwentendorf ging, Plakate fungierten als Sprachrohr sozialer Bewegungen.
Vom sogenannten "Wildplakatieren" erzählt Rudolf Hübl, Inhaber der Firma Vienna Poster Service. Der Historiker Franz J. Gangelmayer berichtet in seinem Beitrag über Zensur von "skandalösen und skandalisierten Plakaten". Schon Gustav Klimt habe mit seiner Darstellung des antiken Königs Theseus - trotz Feigenblatts - die Sittenhüter auf den Plan gerufen.
Wie sähe Wien ohne Reklame und Geschäftsschilder aus? Die Künstler Rainer Dempf und Christoph Steinbrener verhüllten für ihre Intervention "Delete!" Schilder, Hinweis- und Plakatflächen mit gelben Folien. Egal ob man diese Aktion als Kritik am Kommerz verstand oder nicht: Sie machte die Dominanz der Werbung deutlich und zeigte, dass es im öffentlichen Raum kein Entrinnen vor ihr gibt.
Festakt und Buchpräsentation: 27.4., 18.30, Wienbibliothek im Rathaus (Anmeldung!)