„Ich bin nicht weiß, sondern rosa-gräulich“

Wer sind Sie, Herr Richter? Zum Kinostart seiner Film-Biografie spricht der deutsche Maler Daniel Richter über natürliche und künstliche Identität, den Größenwahn seines Kollegen Georg Baselitz und die künstlerischen Qualitäten des Nazis Emil Nolde

FALTER:Woche, FALTER:Woche 18/2023 vom 02.05.2023

Foto: Heribert Corn

Daniel Richter ist bekannt für pointierte Interviews, in denen er den Kunstbetrieb und das Weltgeschehen kommentiert. Nun hat der Filmemacher Pepe Danquart einen Film über den deutschen Künstler gedreht, in dem die Malerei im Vordergrund steht. Ausführlich und streckenweise etwas langatmig vermittelt Richter seine Entwicklung. Anfang der Nullerjahre begann er, realistische Bilder mit zeithistorischen Motiven zu malen.

Zuletzt wandte er sich der Abstraktion zu. Der neueste Zyklus arbeitet sich am Motiv zweier auf Krücken gestützter Kriegsinvaliden ab, das der Künstler im Stil des Abstrakten Expressionismus in Formen und Farben auflöst. Zwischen einen Atelierbesuch und den nächsten montiert Danquart Ausflüge in die Kunstwelt – zu Vernissagen und Auktionen, „bei denen Öl in Gold verwandelt wird“.

Zu Wort kommen auch Sammler wie der Hamburger Harald Falckenberg oder der befreundete Maler Jonathan Meese, den Richter auf der Akademie in Hamburg kennengelernt hat. Die Kunsthistorikerin Eva Meyer-Hermann kommentiert die ästhetischen Wandlungen. Eine von ihr herausgegebene Monografie erscheint dieser Tage im Hatje Cantz Verlag.

Richter kommt aus der Hamburger Hausbesetzerszene und malte zunächst Plattencover für Punkbands, ehe er die Hochschule für bildende Kunst besuchte. Seit 2005 ist er Inhaber des Plattenlabels Buback, das Musiker wie Jan Delay hervorgebracht hat. Mit Österreich verbindet ihn eine Professur an der Akademie der bildenden Künste Wien und die Salzburger Galerie Thaddaeus Ropac. Beim Aufbau einer Retrospektive in der Kunsthalle Tübingen nahm sich Richter Zeit für ein Telefonat, bei dem auch viel gelacht wurde.

Falter: Herr Richter, der Film „Daniel Richter“ zeichnet das Porträt eines Herrn im Atelier mit zwei Vögeln. Erkennen Sie sich darin wieder?

Daniel Richter: Das bin eindeutig ich. Ob das meine schillernde Persönlichkeit zu 100 Prozent trifft, weiß ich nicht.

Auch in unserem Gespräch soll es um Identität gehen. Darf ich mit einem kleinen identitätspolitischen Verhör beginnen?

Richter: Unbedingt, das macht man heute so. Erst mal die Sprecherposition klären.

Alter?

Richter: 60.

Ethnische Zugehörigkeit?

Richter: Kaukasisch.

Die Hautfarbe ist klar: weiß.

Richter: Nein, ich bin nicht weiß, sondern rosa-gräulich. Wenn es diese verschiedenen Abstufungen im Bereich dunkler Hauttypen gibt, dann bestehe ich auf diese Unterscheidung.

Sexuelle Identität?

Richter: Mann mit Glied.

Haben Sie Angst vor woker Kritik?

Richter: Nein, überhaupt nicht. Sollte ich?

Sexuelle Orientierung?

Richter: Wahrscheinlich heterosexuell.

Hat diese Identität Ihre Karriere eher befördert oder behindert?

Richter: Die vergangenen 2000 Jahre hätte sie das Leben leichter gemacht. Wenn alles gutgeht, hört das jetzt auf. Wie heißt es in einem Lied von Bob Dylan, einem kleinen, kaukasisch-jüdischen Mann: „The Times They Are a-Changin’“.

War die männliche, heterosexuelle Identität bei Ihnen ein Privileg oder eine Hürde?

Richter: Ich habe sie weder als das eine noch als das andere empfunden. Aber wahrscheinlich müsste man heute so selbstkritisch sein und sagen: Ein rosa-gräulicher, wahrscheinlich heterosexueller Mann zu sein ist ein Privileg. Mit meiner polternden Art habe ich wahrscheinlich viele andere, gute Künstlerinnen und Künstler beiseitegedrückt. Aber der Nachweis müsste kriminologisch erbracht werden.

Sind Sie darüber zerknirscht?

Richter: Diese Frage ist so dämlich, dass ich mich weigere, sie zu beantworten. Sie ist so moralisierend, dass klar ist, welche Antwort ich geben sollte, damit alle d’accord sind.

Gehen wir einen Millimeter weiter. Ihr Galeriekollege Georg Baselitz stellt im Kunsthistorischen Museum aus. Er machte sich dadurch unbeliebt, dass er Malerinnen das Talent absprach. Nun bekam er zu hören, dass es ihm nur darum gehe, die Größe seines Glieds zu demonstrieren.

Richter: Nun, den größten hat Anselm Kiefer und den schlauesten Gerhard Richter.

Pinsel, Schwanz, woher kommt diese Fixierung?

Richter: Auch diese Frage ist eine, die sich der Fragende selbst stellen könnte, aber dass sich dieses Bild so hartnäckig hält, ist ein mitteleuropäisches oder vielleicht sogar rein germanozentrisches Phallusproblem. Wenn wir uns die Malerei der letzten 20 Jahre in den Vereinigten Staaten oder Großbritannien anschauen, sehen wir eine hohe Anzahl großartiger und vollkommen unterschiedlicher Positionen von Malerei, die weiblich sind. Ich weiß nicht, ob das Gemächt da für alle gleichermaßen noch ein Thema ist. Die Argumentationen sind auch sehr unterschiedlich: Nicole Eisenman hat ein anderes Verhältnis zu Geschlecht und Wahrnehmung als etwa Christina Quarles oder Dana Schutz.

Um bei Baselitz zu bleiben …

Richter: Ihr wollt immer bei Baselitz bleiben. Das ist, als wäre man Musiker und die Leute kämen immer wieder zu den Rolling Stones zurück.

Er wurde 85 Jahre und hat in Wien zwei große Ausstellungen.

Richter: Da muss sich Wien fragen, warum das so ist.

Wie finden Sie ihn?

Richter: Er ist ein hervorragender methodischer Maler. Ich bin durchaus in der Lage, Künstler, deren Ansichten ich nicht teile, anzuerkennen, wenn ich deren Arbeiten gut finde. Umgekehrt kann man auch nicht davon ausgehen, dass, wenn jemand das Richtige sagt, sie dann auch das Richtige malt. Kunst stellt sich ganz grundsätzlich dem Widerspruch und dem Misstrauen und ist nicht dazu verpflichtet, einer Parteilinie zu folgen. Daher muss man ertragen, dass Leute Sachen sagen, die man selbst falsch findet.

Baselitz beklagt sich, dass er trotz Markterfolgs zu wenig Anerkennung bekommt.

Richter: Ein weit verbreitetes Phänomen. Ich kenne mehrere bekannte Kollegen, die überall ausstellen und dennoch klagen, sie bekämen zu wenig Aufmerksamkeit, wahrscheinlich eine Berufskrankheit.

Auch Maria Lassnig klagte, obwohl sie in Österreich doch ziemlichen Erfolg hatte.

Richter: Dieses Lassnig-Problem kann ich nachvollziehen. Ihre Wahrnehmung in der Kunstwelt entsprach tatsächlich nicht ihrer Bedeutung, allerdings wird, was als bedeutend gilt, ja immer wieder neu verhandelt.

Heute stellen Sie in der Kunsthalle Tübingen aus, morgen vielleicht im New Yorker Guggenheim Museum?

Richter: Sie bringen es auf den Punkt.

In dem Film sprechen Sie sehr viel.

Richter: Nicht genug, sagen die einen.

Darauf will ich hinaus. Sie sprechen sehr viel, aber man kommt Ihnen nicht näher. Ist das Reden ein Selbstschutz?

Richter: Der Film ist eher der Versuch, in einer Art Semi-Öffentlichkeit Dinge zu thematisieren, die mich interessieren. Sich positionieren heißt auch, sich von außen betrachten. Das mit dem Näherkommen mag stimmen, aber es geht ja in erster Linie um den Künstler Daniel Richter, nicht um die Privatperson.

Wem hören Sie gern zu?

Richter: Hm. Ich höre Leuten tatsächlich gerne zu, unabhängig davon, wer sie sind. Das kann auch ein Busfahrer oder Bäcker sein. Musik, Literatur, Kunst oder politische Analysen nehme ich aber lieber als komprimierte menschliche Leistung wahr, als dass ich Leuten unmittelbar begegnen möchte. Ich lese etwa gern die französische Schriftstellerin Annie Ernaux, aber will ich deswegen mit Annie Ernaux Tee trinken gehen? Nein! Ein anderes Beispiel: Der verkommenste und opportunistischste Malerkollege war Emil Nolde, ein Antisemit und nationalsozialistischer Mitläufer reinsten Wassers. Ich schätze ihn als Maler sehr, hätte ihn aber nur sehr ungern kennengelernt. Zum Glück ist er schon lange tot.

Wer redet, wenn Sie Baselitz treffen?

Richter: Baselitz.

Es gibt in Österreich einen Künstler namens Helmut Federle, der seit Jahrzehnten Interviews verweigert. Wäre so ein Modell für Sie vorstellbar?

Richter: Ich verstehe diese Haltung von Helmut Federle, aber mir ist sie fremd. Das ist wie monochrome Malerei und Puritanismus. Ich könnte gar nicht begründen, warum mich das nicht interessiert. Vielleicht weil es nicht so angenehm ist, Leuten zuzuhören, die schweigen.

Eine zentrale Rolle im Film spielen zwei kleine Papageien, die in Ihrem Atelier herumflattern. Woher diese Liebe?

Richter: Die hat mir vor Jahren meine Frau geschenkt, die meine Begeisterung für Papageien kennt. Im Film sind sie der rote Faden, an dem man sich festhalten kann. Wenn einem der Rest auf die Nerven geht, hat man immer noch die Papageien, an deren heiterem Wesen man sich erfreut. Sie haben eine ähnliche Funktion wie niedliche Kätzchenfotos.

Identität hat auch mit Originalität zu tun, und die wird derzeit durch künstliche Intelligenz infrage gestellt. KI unterstellt man, sie würde lediglich nachplappern wie ein Papagei. Wie stehen Sie dazu?

Richter: So weit ich die künstliche Bilderzeugung verstanden habe, ist sie davon abhängig, was sie vorfindet. Sie kann einen mit dem verblüffen, was sie durch eingespeiste Daten hervorbringt, vermag aber keinen qualitativen Sprung nach vorne zu machen. Warum sollte die künstliche Intelligenz etwas leisten, was die menschliche nicht bereits geleistet hat? Die ist ja immerhin eine Erfindung derselben, und die Lösung der Probleme, die wir haben, wird sicherlich keine sein, die rein technokratischer Natur ist.

Wie meinen Sie das?

Richter: Ich meine, dass viele Lösungsvorschläge, die es für die Probleme der Welt gibt, auf dem Tisch liegen. Die werden nur von diesem Tisch nicht heruntergenommen. Der menschliche Fortschritt beziehungsweise das Elend, in dem so viele Menschen stecken, hat mehr mit Besitzverhältnissen und deren ungerechter Verteilung zu tun als mit der hehren Welt der Ideen.

KI steht für Imitation und Replikation. Ist das nicht eine Grundidee zeitgenössischer Kunst? Ohne Ihnen nahetreten zu wollen …

Richter: Oje, das wird jetzt sicher ganz furchtbar.

Man könnte Ihre Bilder mit Werken eines Roboters vergleichen, der die Anweisung hat: Mal eine Serie im Stil des abstrakten Expressionisten Willem de Kooning!

Richter: Das ist tatsächlich beleidigend und eben auch falsch. Sie scheinen blind zu sein.

Fortschritt in der Kunst definiert sich über die Einfälle eines genialen Schöpfers. Ist das nicht ein Mythos?

Richter: In der Kritik an dem Begriff steckt bereits eine denunziatorische Vorstellung – dass es jemanden gäbe, der an das Genie glaubt. Niemand, der malt, glaubt an das Genietum. Speziell in der Malerei ist es so, dass die großen Sprünge einfach nicht gemacht werden können. Wenn wir Glück haben, können wir den Betrachtenden auf kleinen Nebenwegen eine Artikulation anbieten, die für sie und ihre Zeit überraschend ist.

Wenn die Sprünge so klein sind und alle Bilder bereits gemalt wurden: Warum kann das nicht der Avatar?

Richter: Die Kunst entsteht aus Fehlern, aus dem Zufälligen. Auch in der Malerei entstehen überraschende Wendungen oft durch Pfusch und Überlegungen, die nicht wirklich begründbar sind. Da kann die AI ja gern mal loslegen.

Wenn man Ihren Film gesehen hat, denkt man sich: Vielleicht geht es in der Malerei weniger um verblüffende Werke, sondern um die Performance des Künstlers.

Richter: Im Allgemeinen interessieren sich Menschen erst für das Werk und dann für dessen Schöpfer, nicht umgekehrt. Sie können beurteilen, ob ihnen ein Bild etwas bedeutet oder nicht. Und, wie gesagt, es ist daher eher zweitrangig, ob dahinter Intellektuelle, Alkoholiker oder Geniedarsteller stecken.

Sagt der Medienstar Daniel Richter.

Richter: Kann ich gut von abstrahieren. Davon abgesehen: Diesen Film schauen sich vielleicht 20.000 Leuten in einem Sprachraum von 120 Millionen an. Jeder drittklassige Fußballer hat mehr Stardom als selbst ein bekannter Künstler. Sogar Gerhard Richter oder Georg Baselitz würden in einer vollen Pizzeria keinen Platz kriegen. Der Ruhm der Kunst reicht zum Glück nicht sehr weit.


Daniel Richter, 60, ist einer der bedeutendsten Maler Deutschlands. Er lebt in Berlin und ist Professor an der Wiener Akademie der bildenden Künste. Anfang Mai eröffnet er in der Kunsthalle Tübingen einen Überblick über sein Werk. Zeitgleich kommt das Filmporträt „Daniel Richter“ in die Kinos

„Daniel Richter“: ab 5.5. in den Kinos

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