"Ich will haben haben haben"
Die Sängerin und Rapperin Nina Chuba ist der beste deutsche Pop-Export seit vielen Jahren. Am 5. Mai gastiert sie in Wien

Nina Kaiser, 24, kommt aus der Kleinstadt Wedel nahe Hamburg. 2022 wurde sie über Tiktok mit dem Song „Wildberry Lillet“ bekannt (Foto: David Daub)
Für alle, die mir immer vorjammern, dass es keine Tickets mehr gibt", sagt Nina Chuba ins Smartphone. Glubschaugen, überschminkte Lippen, zwei steif gesprayte Strähnen fallen ihr ins Gesicht. In einem Video auf Instagram kündigt sie jetzt schon die Tour für 2024 an und motiviert zum Kartenkauf. "Seid schnell, seid frei, seid wild, macht euer Ding!", ruft sie und versenkt die Kamera in ihrem Rachen.
"Mach dein Ding" ist ein klassischer Influencer-Spruch. Meist kommt er von jungen, selbstbewussten Männern, die gerade ein Start-up gegründet haben und anderen gerne den Weg zum Erfolg erklären. Chubas Video ist subtil, kokettiert mit der Sprache der sozialen Medien und ist lustig. Die Künstlerin, so der Eindruck, nimmt sich selbst nicht ganz so ernst.
Nina Chuba, Jahrgang 1998, spielt die Klaviatur der Jugendkultur. Im virtuellen Raum ist sie spontan, so, als würde sie gerade ihren banalen Alltag teilen. Sie gilt als "authentisch", das zieht bei den Followern: Bereits 700.000 Menschen folgen ihr auf der Videoplattform Tiktok.
Mit Zöpfchen und hoher Stimme wirkt Chuba noch jünger, als sie ist. Ein fast lieblicher erster Eindruck, den sie in jedem Video mit einer überraschend scharfen Pointe bricht. Kurz gesagt: Sie ist so cool, dass sie es sich leisten kann, nett zu sein.
Chuba ist Deutschrapperin und hat alles, was ein Popstar braucht. Glamouröse Aura, eigenen Style, modisch wie musikalisch. Sie ist nahbar, Jugendliche können ergriffen mitsingen und sich verstanden fühlen. "Wenn du schreibst, bin ich plötzlich immer planlos; nehm' mir Zeit für ein, zwei Stunden Chaos", rappt sie im Song "Neben mir". Eine gefühlte Situation, die jeder kennt.
Schon lange gab es keinen vergleichbar interessanten Pop-Export aus Deutschland. Im letzten Sommer lief ihr Superhit "Wildberry Lillet" unter jedem Video auf Social Media, und er ist immer noch nicht totgehört.
100 Millionen Mal wurde der Song auf Spotify geklickt. Ende Februar veröffentlichte Chuba ihr Debütalbum "Glas". Fünf Wochen lang stand es auf Platz eins der Charts, in Deutschland und in Österreich. Ihre erste Tour war binnen weniger Stunden ausverkauft, am 5. Mai gastiert sie in der viel zu kleinen Wiener Simm City.
Chuba heißt eigentlich Kaiser und wuchs in Wedel, einer Kleinstadt nahe Hamburg, auf. Ihre Kindheit verbrachte sie in gutbürgerlicher Manier: Kunstturnen, Klavierspielen, die Mutter schickte sie zu Schauspielvorsprechen. Mit sieben bekam sie eine der Hauptrollen in den "Pfefferkörnern", einer bekannten deutschen Kinder-TV-Serie. Später, am Musikgymnasium, gründete sie eine Band.
Knickerbockerbande meets Girlboss -dieser Stempel passt heute noch. Auch musikalisch: Nina Chubas Songs sind ein Mix aus Dancehall, Reggae, Rap, Soul und verträumtem Pop. Es ist ein eigener Sound, stimmig in sich, gerade wegen der vielen Genre-Anleihen.
Das deutsche Feuilleton verglich sie mit Peter Fox, dem Sänger der Band Seeed, der ebenfalls in deutscher Sprache rappt und modernen Reggae in den Pop holt. Das Spezielle an Chubas Musik ist ihr Songwriting. Catchy Lines finden sich in ihren Liedern, die auf sozialen Medien als 15-Sekunden-Ausschnitt viral gehen. Sie verwendet Anglizismen und Jugendsprache, ohne zu künsteln - "whack" , "slay" oder "cringe" klingen aus ihrem Mund eben nicht cringe (zu deutsch: zum Fremdschämen). Ihre Texte sind selbstbewusst und direkt, aber trotzdem verspielt. Und voller Sprachbilder. Etwa das Glatteis als Metapher für das Risiko der Liebe: "Glatteis, führ mich aufs Glatteis, ich fahr in dich rein, egal, was der Preis ist."
Die Hälfte der Songs hat die Künstlerin selbst geschrieben, die andere kam von Textern. In einer Talkshow erklärte Chuba lapidar, jede Künstlerin und jeder Künstler hätte Produzenten und Helfer, die an der Musik beteiligt seien. Nur reden würden die wenigsten darüber. "Ich will mich selbst entwaffnen und das alles entzaubern. Songwriting ist ein Handwerk." Falle ihr kein Reim ein, suche sie eben auf Google.
Das Understatement ist Nina Chubas Markenzeichen. Und es funktioniert in der Logik der Algorithmen. Binnen weniger Stunden avancierte sie auf der Plattform Tiktok zum Star, indem sie amateurhaft zu ihrem Song "Wildberry Lillet" tanzte. Die Zeile "Ich will Immos, ich will Dollars, ich will fliegen wie bei Marvel" legten daraufhin Millionen junger Menschen unter ihre Videos.
"Wildberry Lillet" ist ein hedonistischer Scheißdrauf-Song, eine Affirmation von Konsum und allem, was Spaß macht. Ob sie wirklich oder nur ironisch in "Champagnerbecken baden" und "Flamingos in mei'm Garten" will, tut nichts zur Sache. Es ist eine Absage an alle Hemmungen, ans Über-Ich: "Ich will haben, haben, haben."
Wie das Amen im Gebet provozierte Chubas viraler Durchbruch auch Hasskommentare . Sie sei eine "Kapitalistin" und eine "Industry plant", befanden Poster. Letzteres bedeutet, dass Chuba bloß ein Produkt der Musikindustrie sei. Produzenten - Männer - hätten sie zum Erfolg geführt. Auch darauf reagiert die Künstlerin gelassen. Frauen würden eben, anders als Männer, viel öffentlicher damit umgehen, woher sie ihre Ideen haben. Jeder brauche ein gutes Team, verantwortlich für das Platin-Album sei sie aber selbst. Vier Jahre lang arbeitete sie auf den vermeintlich spontanen Durchbruch hin.
Es ist die Kombination aus Arglosigkeit und illusionsbefreitem Ehrgeiz, der Nina Chuba zum Popstar der Generation Z macht. Nichts an ihr ist naiv, sie kennt Krisen, global und persönlich, ohne den moralischen Zeigefinger zu heben. Ihr Social-Media-Auftritt wahrt den ironischen Blick auf sich selbst.
"Ich muss auf Tiktok nicht meine Musik promoten", sagt Chuba, "sondern ich kann einfach Scheiße labern und die Leute finden es gut." Ihre Songs sowieso.
Simm City, 5.5., 20.00 (ausverkauft!)