Unterdrückung lässt sich nicht wegmeditieren

Felice Gallé
Feuilleton, FALTER 19/2023 vom 10.05.2023

In der feministischen Theorie kennt sie sich aus. Das hat Saralisa Volm bereits 2021 bewiesen: als Darstellerin und Co-Autorin des Films "Als Susan Sontag im Publikum saß". Großzügig zitiert sie nun in "Das ewige Ungenügend" aus Standardwerken und Statistiken, streut philosophische Reflexionen ein, garniert mit kunsthistorischem Wissen. Und liefert dazu noch Glamour und Drama einer Schauspielerin aus erster Hand. Die Kombination funktioniert, weil Saralisa Volm auch eine richtig gute Autorin ist. Neben Büchern und Drehbüchern schreibt sie Artikel für die Süddeutsche Zeitung, Die Welt und Die Zeit. Sie arbeitet als Regisseurin, Produzentin, Kuratorin und ist vierfache Mutter.

Kapitel für Kapitel verwebt sie Privates mit Politik. Sie teilt ihre Erfahrungen mit Bulimie und sexueller Gewalt, schreibt, "weil es jemand tun muss", über "nicht vorhandene Orgasmen" und ihre Angst davor, mit jüngeren Kolleginnen verglichen zu werden. Widersprüchlichkeiten im öffentlichen Diskurs sowie im eigenen Denken und Fühlen benennt sie: "Ich will der Industrie den Krieg erklären und trotzdem Instafame haben Ich will Schamhaar tragen zu operierten Brüsten und verkatert Sport machen. Menschen sind komplex, ambivalent und needy. Get the fuck over it."

Volm beschreibt "fragile Körper", "kaputte Systeme" und wie beides zusammenhängt. Denn: "Unterdrückung, finanzielle Einschränkungen und Bevormundung lassen sich nicht wegmeditieren." Sie fokussiert auf Mechanismen von Macht, aber auch auf Selbstbestimmung. Es geht darum, die "Deutungshoheit zurückzuerobern", wenn die Autorin unter "#365_imperfections" postet oder schildert, wie sie mit Ibuprofen und Super-Plus-Tampons als Filmregisseurin zu funktionieren versucht, Menstruationsschmerzen hin oder her. Sie richtet den Scheinwerfer auf Ungerechtigkeiten - und strahlt zugleich vor "radikaler Hoffnung" auf die Kraft von Vielfalt, Solidarität und Schwesternschaft.

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