COMMING ATTRACTIONS

Von erster Liebe, unkaputtbaren Helden, der Misogynie des Blicks und dem Alltag in Alterlaa: Eine Filmvorschau auf zehn ausgewählte Kinostarts bis zum Sommer

Martin Nguyen, Michael Omasta, Sabina Zeithammer
FALTER:Woche, FALTER:Woche 20/2023 vom 17.05.2023

Wohnglück für immer? "27 Storeys"

"Pools für Proleten" oder doch "Wohnen wie die Reichen für alle"? Was man vom Wohnpark Alterlaa des Architekten Harry Glück bei der Eröffnung 1976 halten sollte, war zunächst unklar. Eine Stadt in der Stadt, die im Bauch der terrassenförmigen Gebäude Klubs für Modellbauer und Freddy-Quinn-Fans beherbergt. Regisseurin Bianca Gleissinger kehrt für die kurzweilige Doku "27 Storeys -Alterlaa Forever" in die Anlage ihrer Kindheit zurück. Zwischen nostalgischen Erinnerungen und Generationenkonflikten fühlt sie nach, wie es sich in der einst wegweisenden Wohnutopie heute lebt.

Ab 2.6. im Filmcasino und Votiv

Warum bin ich so? "20,000 Species of Bees"

Cocó fühlt sich nicht wohl in ihrer Haut, ihren männlichen Namen "Aitor" lehnt sie ab. Als die Familie ins baskische Heimatdorf von Cocós Mutter Ane aufbricht, verstärkt sich die Identitätskrise: "20,000 Species of Bees" erzählt sensibel von Selbstfindung. Die Oma meint, das Kind sei "verwirrt", die Mutter drängt, alles offenzuhalten, nur die eigentümliche Großtante hört Cocó wirklich zu.

Ab 30.6. in den Kinos

"All the Beauty and the Bloodshed"

Neben dem Eintrag zu "Resilienz" im Lexikon müsste eigentlich ein Bild von Nan Goldin sein - natürlich ein Selbstporträt. Was die Fotografin (Jg. 1953) im Lauf ihres Lebens an Leid zu verkraften hatte, lässt über ihre ungebrochene Kämpferinnen-Natur staunen. Traumatische Erlebnisse in ihrer Familie und ihren Liebesbeziehungen, die Heimat in der LGBTQ-Subkultur, die durch die Aids-Pandemie der 1980er fast ausgelöscht wurde, all das floss in ihr Werk ein.

In jüngster Zeit engagiert sich Goldin im Kampf gegen die Opioid-Krise, die in den USA eine Million Tote gefordert hat. Goldin und ihre Mitstreiter nehmen es mit der Pharma-Dynastie Sackler auf -begleitet von Filmemacherin Laura Poitras, die in "All the Beauty and the Bloodshed" die Biografie der Künstlerin mit der Tätigkeit der Aktivistin zu einem meisterlichen, tief erschütternden Porträt verbindet.

Ab 25.5. im Burg (OF), Filmcasino und Votiv (OmU)

Zwei wie Feuer und Wasser: "Elemental"

Lange war das Filmstudio Pixar ein Garant für Animationsfilme mit Tiefgang und Witz, die mit ihren Drehbüchern wie ihrer Umsetzung begeisterten ("Toy Story","Findet Nemo","Ratatouille","Alles steht Kopf","Coco"). Zuletzt konnte nur "Soul"(2020) an diese Glanzzeit anknüpfen. Nun gibt es eine neue Chance: "Elemental"(Regie: Peter Sohn) führt in eine Stadt, in der die zu Individuen geformten Elemente Erde, Feuer, Wasser und Luft zusammenleben. Nur vermischen dürfen sie sich nie. Bis ein Feuermädchen und ein Wasserjunge sich ineinander verlieben und diese Regel infrage stellen.

Ab 22.6. in den Kinos (OF im Artis)

Das Finale: "Indiana Jones und das Rad des Schicksals"

Er sei in Pension, winkt Dr. Jones müde ab, doch vergebens. Patentochter Helena (Phoebe Waller-Bridge) weiß, wie sie sich Gehör bei dem emeritierten Archäologen verschafft: Hat nicht er seinerzeit im Kampf gegen die Nazis ein Artefakt mit magischen Kräften entdeckt? Eben. Und dieses "Rad des Schicksals", das den Lauf der Geschichte verändern kann, droht nun in falsche Hände zu geraten (nämlich die von Mads Mikkelsen). Einmal geht's noch!, muss sich Harrison Ford (80) gesagt haben, bevor er als Titelheld zum fünften und letzten Mal zu Lederjacke, Hut und Peitsche griff. Uns freut's.

Ab 29.6. in den Kinos (OF im Artis und Haydn)

Nicolas Cage beim Tanz der Vampire: "Renfield"

Totgesagte leben länger. Für einen Vampir ist das wenig überraschend. Anders bei Nicolas Cage, dessen Karriereende schon mehrfach ausgerufen wurde, der sich aber nicht zuletzt mit der selbstreflexiven Komödie "Massive Talent" (2022) als Stehaufmanderl erwiesen hat. "Renfield" zeigt ihn von seiner elegantesten, aber auch bissigsten Seite, nämlich als Graf Dracula. Dieser hat Probleme mit seinem Handlanger, dem titelgebendem Renfield (Nicholas Hoult), der sich einer schönen Frau (Rapperin Awkwafina) zuliebe aus der "toxischen" Beziehung zum Herrn und Meister lösen möchte.

Ab 25.5. in den Kinos (OF im Haydn)

Feministische Filmtheorie: "Brainwashed"

Grundlage dieser Doku von Nina Menkes ist ihr Vortrag über "Sex and Power, the Visual Language of Oppression", der Laura Mulveys bahnbrechende Erkenntnis aus den 1970ern vom "männlichen Blick" des Kinoapparats fortschreibt. Anhand von 200 Werken der Filmgeschichte veranschaulicht Menkes den oft misogynen Blick des klassischen Kinos, der sich nicht nur in Figurenzeichnung und Plots, sondern auch in der Gestaltungsweise zeigt. "Brainwashed: Sex -Camera - Power" hat zum Ziel, "Filme anders zu betrachten und uns alle zu bewussteren Zuschauer:innen zu machen".

Ab 26.5. im Admiral und Stadtkino im Künstlerhaus (OmU)

Alles zuckerlbunt und wunderbar: "Asteroid City"

Mitten in der Wüste, dort, wo die Amerikaner in den 1950ern ihre Nukleartests machen, finden sich junge Hobby-Astronomen zum Sterngucken ein. Als überraschend Besuch von ganz weit her kommt, wird Asteroid City vom US-Militär zum Sperrgebiet erklärt und so steckt Witwer Mitch (Jason Schwartzman) mit seinen Kids ebenso in dem Kaff fest wie Schauspielerin Midge (Scarlett Johansson). Überraschung: Bill Murray spielt in Wes Andersons neuem Film nicht mit. Ansonsten: die üblichen Verdächtigen, die üblichen Bildsymmetrien und die hübschesten Atompilze, die man je gesehen hat.

Ab 15.6. in den Kinos (OF im Burg und Haydn, OmU im Gartenbau und Votiv)

Herzklopfen unter dem Meer: "Arielle"

Es gab viel Aufregung um die Realverfilmung von Disneys "Arielle, die Meerjungfrau": Die einen empörten sich, dass die schwarze Sängerin Halle Bailey die Titelrolle übernimmt, die anderen schluchzten, als Teenie-Liebling Harry Styles die Prinzenrolle ablehnte. Mittlerweile ist alles in trockenen Tüchern, und das magisch-bunte Wassermärchen kann mit dem Calypso-Hit "Unter dem Meer" und anderen Songs losswingen. Vielversprechend die Besetzung, unter anderem mit Javier Bardem und Melissa McCarthy, zweifelhaft die mimiklosen Tierfreunde Sebastian, Fabius und Scuttle.

Ab 25.5. in den Kinos (OF im Artis und Haydn)

Liebesg 'schichten und Geistersachen: "Falcon Lake"

Ein Sommer wie damals: Die frankophonen Familien von Bastien (Joseph Engel) und Chloé (Sara Montpetit) verbringen ihren Urlaub in einer abgelegenen Hütte an einem See in Kanada. Er ist 13, sie 16 -ein Altersunterschied so groß wie der See. Charlotte Le Bons schöner Erstling "Falcon Lake", der auf der Graphic Novel "Une sœur" basiert und auf körnigem 16-mm-Material gedreht wurde, erzählt die schrittweise Annäherung der Teenager mit dunklen Andeutungen. Bastiens heimliche Blicke sind so heimlich nicht, während Chloé seine Anwesenheit zunächst nur duldet. Die Chemie der beiden und die gelungene Figurenzeichnung umschifft Klischeebilder und fängt stimmig die Zeit der ungelenken Abgeklärtheit und inneren Unsicherheit ein. Sexuelles Erwachen, Partynächte, Enttäuschung: Le Bon verwebt in der "Coming of Age"-Erzählung wirkungsvoll erste Liebe mit düsteren Vorahnungen, deren melancholische Stimmung lange nachhallt.

Ab 2.6. in den Kinos (OmenglU im Votiv)

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