Erdoğan ist Favorit und könnte bleiben
Die Welt-Kolumne
Recep Tayyip Erdoğan ist das Erfolgsmodell des nationalistischen Demagogen schlechthin, notiert die Washington Post. Jetzt geht er als Favorit in die Stichwahl. Der große Umschwung im ersten Wahlgang, von dem die vereinigte Opposition geträumt hatte, ist ausgeblieben. Ein Erfolg für den Sozialdemokraten Kemal Kılıçdaroğlu ist nicht unmöglich, aber schwierig, urteilt der Türkeiexperte Kenan Güngör, der selbst den Optimismus der Erdoğan-Gegner geteilt hatte. Viele Oppositionelle sind demotiviert, auch wegen der Mehrheit des Regierungslagers im Parlament.
Vor 20 Jahren war Erdoğan noch als proeuropäischer Islamist ans Ruder gekommen. Die Todesstrafe wurde abgeschafft und die kurdische Sprache zugelassen. Mit der Einführung eines Präsidialsystems begann der Umbau zu einem System, das Politikwissenschaftler als "elektorale Autokratie" bezeichnen. Wahlerfolge und Referenden wurden zur Zerstörung des demokratischen Spielraums eingesetzt.