Attacke auf ein Gemälde von Miriam Cahn: Verharmlosung oder Anprangerung von Gewalt?

Die Kulturkritik der Woche

Feuilleton, FALTER 20/2023 vom 17.05.2023

Der Opa gegen links kam wenige Tage vor Ende der Ausstellung. Ein 81-jähriger Franzose, ehemals Politiker des Front National, überschüttete im Pariser Palais de Tokyo ein Gemälde der Schweizer Künstlerin Miriam Cahn mit violetter Farbe. "Fuck Abstraction!" zeigt einen übermächtig großen, muskulösen Mann, der ein gefesseltes Kind zum Oralverkehr zwingt.

Das Werk gehört zu einer Serie von Bildern, in denen die Künstlerin unter dem Eindruck des Ukrainekrieges Gewalt darstellt. Verzerrte Gesichter und geschundene Körper: Jeder, der Cahns Kunst - etwa 2022 in der Albertina - gesehen oder die 73-Jährige in einem Interview gehört hat, weiß, dass sie Missbrauch nicht verharmlost, sondern dagegen ankämpft. Doch nicht nur rechtsextreme Agitatoren sahen sich von Cahn provoziert. Kinderschutzorganisationen interpretierten das dargestellte Opfer als Buben und das Gemälde als "Verherrlichung von Kinderpornografie". Und trafen damit einen heiklen Punkt. Wer als Kind missbraucht wurde, fühlt sich von dem Gemälde möglicherweise ein weiteres Mal traumatisiert.

Das höchste Verwaltungsgericht beendete die Unsicherheit und wies die Forderung zurück, das Werk aus der Ausstellung zu entfernen. Die Juristen begründeten die Entscheidung damit, dass das Bild in einem Kontext gezeigt werde, der die Schrecken des Krieges anprangere. Gänzlich überzeugend ist das nicht. Bedeutet das, dass "Fuck Abstraction!" nur im richtigen Kontext gezeigt werden darf? In ihren vielen weniger plakativen Darstellungen gelingt es der Künstlerin besser, nicht nur die Verbrechen der Täter anzuprangern, sondern auch die Leiden der Opfer zu berücksichtigen.

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