Ohrfeigen und Transzendenz
Mit Witz und Eigensinn hielt die hochdekorierte literarische Spätzünderin Sibylle Lewitscharoff Distanz zum Zeitgeist-Konsens
Im Juni 1998 erlas sich beim Wettlesen am Wörthersee eine bereits 44-jährige, aber bis dahin völlig unbekannte Autorin mit dem Beginn ihrer Erzählung "Pong" den Ingeborg-Bachmann-Preis. Es war der Startschuss für eine späte, aber ebenso erstaunliche Karriere, die 15 Jahre und vier Romane sowie diverse Prosawerke später mit dem Georg-Büchner-Preis ihren gleichsam offiziell beglaubigten Höhepunkt fand.
Sibylle Lewitscharoff war zur höchstdekorierten Autorin deutscher Sprache avanciert, räumte allein im Jahr 2011 den Kleist-,den Ricarda-Huch-, Marieluise-Fleißer- und den Wilhelm-Raabe-Preis ab.
Drei Jahre danach aber sollte ihre Beliebtheitskurve einen steilen Abwärtsknick erleiden. In ihrer "Dresdner Rede" von 2014 ließ sich Lewitscharoff in ihrer Polemik wider die Hybris des Machbaren und die Manipulation des menschlichen Lebens und Sterbens dazu hinreißen, "auf abartigem Wege" in die Welt gebrachte Kinder als "Halbwesen" zu verunglimpfen, was ihr vonseiten des Spiegel den Vorwurf eintrug, "die Blaupause für einen neuen Klerikalfaschismus" zu liefern: Der Darling des deutschen Feuilletons war zur Persona non grata geworden.