Artifiziell und sinnlich zugleich: Alban Bergs "Lulu" bei den Wiener Festwochen
Die Bühne ist ein Kubus mit zwei Ebenen. Unten stehen schlichte Bänke und Stühle aus Holz. Hoch oben, nach hinten versetzt, sitzen die Musikerinnen und Musiker des RSO Wien. Dirigent Maxime Pascal agiert auf einem Podest, der mitten im Raum steht und so Teil des Geschehens ist. Nach und nach betreten die Figuren den Raum und nehmen ihre Position ein. Sie turnen, zucken, schneiden Grimassen; die Bühne ist gleißend hell, alles wirkt künstlich und kalt. Marlene Monteiro Freitas' Inszenierung von Alban Bergs "Lulu" ist ein bizarrer Kosmos aus Gesang, Tanz und Akrobatik.
Der Abend verzaubert mit artifiziellen und zugleich sinnlichen Bildern, Bergs überwältigender Musik, die das RSO in all ihrer Dramatik und Poesie ausleuchtet, sowie einem umwerfenden Gesangensemble. Vera-Lotte Boecker spielt ihre Rolle mit einer Intensität und Hingabe, die erschaudern lässt. Diese Lulu betört und beängstigt -unfassbar, welche Stimmgewalt in Boeckers zierlichem Körper steckt. Bergs mörderische Partie bewältigt sie jedenfalls mit nachtwandlerischer Sicherheit. Hervorragend auch Lulus Männer von Cameron Becker als suizidaler Maler über Bo Skovhus als sich selbst zerfleischender Dr. Schön bis zu Sohn Alwa, ausgestattet mit dem edelherben Tenor von Edgaras Montvidas.
Noch bevor Berg seine Oper fertig schreiben konnte, starb er 1935 an einer Sepsis. Zwei Jahre später fand in Zürich die Uraufführung der ersten beiden Akte statt -ergänzt durch eine Pantomime zu Musik aus der "Lulu"-Suite. Erst Friedrich Cerha vollendete das Werk 1979. Das Musiktheater an der Wien wählte die Zürcher Variante.
"Du hast mich um den Verstand gebracht", singt Alwa zu Lulu. Die Musik endet abrupt, die Darsteller gehen ab, und auf der verwaisten Bühne führt ein Mann in Schwarz zu den Klängen der Suite ein seltsames Geschöpf am Arm. Es entpuppt sich als kriechender, in weiße Tücher gehüllter Torso mit Armstümpfen und Puppenmaske. Wie Braut und Bräutigam bewegen sie sich in Richtung Publikum. Ein verstörendes Schlussbild. Jubel und vereinzelte Buhs für die Regie.
Museumsquartier, Halle E, Fr, So, Di 19.00