Der Goldstandard menschlicher Interaktion
Händeschütteln hatte zuletzt ein Imageproblem. Dafür gab es verständliche Gründe, und es geschah nicht zum ersten Mal, betont Ella Al-Shamahi. Ihre Kulturgeschichte "Der Handschlag" ist nicht nur höchst informativ, sondern auch vergnüglich zu lesen. Das liegt daran, dass die in Birmingham aufgewachsene Tochter jemenitischer Eltern die Berufe Anthropologin, Evolutionsbiologin, Journalistin und Standup-Comedian vereint. Bis zu ihrem 26. Lebensjahr, gesteht sie, habe sie aus religiösen Gründen noch nie einem männlichen Wesen die Hand gegeben. In den Covid-19-Lockdowns vermisste sie den Handschlag schmerzlich -ein Grund, "Der Handschlag" zu schreiben.
Dieser "Goldstandard menschlicher Interaktion" sei nicht nur eine Begrüßungsgeste, sondern auch eine Berührungseinheit, eingeschrieben in die menschliche DNA. Er werde rund um den Globus auch von indigenen Völkern praktiziert sowie von den uns am nächsten stehenden Primaten, den Schimpansen. Daraus schließt Al-Shamahi auf eine "funktionale biologische Bedeutung" im Sinne eines "Liefersystems" für Chemosignale, sprich Geruch. Die Empfindlichkeit der Handfläche bewirke, dass das Aufeinanderstoßen von Ellbogen oder Fäusten keinen befriedigenden Ersatz bieten könne.
Bereits in der Höhlenmalerei zeige sich die Obsession des Menschen mit seinen Händen, sie stecken im Begriff "homo habilis" für den ausgestorbenen Urmenschen und sogar im "digitalen" Zeitalter (lateinisch "digitus": Finger oder Zeh)."Ein Handschlag ist durch und durch positiv, daran gibt es wenig zu rütteln." Er sei egalitär und vermittle Wärme, egal ob mit Schütteln oder ohne.
Da sich Studien zufolge 70 Prozent der Menschen in Großbritannien nicht sicher sind, die richtige "Technik" zu beherrschen, gibt Al-Shamahi Tipps, listet gelungene und gescheiterte historische Handschläge auf - und prophezeit ihrer Lieblingsgeste ein Wiederaufleben nach der Pandemie.
Ella Al-Shamahi: Der Handschlag. Die neue Geschichte einer großen Geste. HarperCollins, 206 S., € 21,50