Befreit das Kino, tötet Tarzan
Mit dem amerikanisch-äthiopischen Regisseur Haile Gerima gastiert ein Pionier des unabhängigen New Black Cinema in Wien
Charles hat hochfliegende Träume. Er will Schauspieler beim Film werden und einen Stern am Hollywood Boulevard. Doch die nächtliche Autofahrt mit einem Freund endet in einer Polizeikontrolle, nachdem dieser bei Rot über eine Kreuzung fährt. Statt eines Sterns gibt es Handschellen -und Charles liegt mit dem Gesicht nach unten auf dem berühmten Trottoir.
Zu dieser Szene polizeilicher Gewalt kehrt Haile Gerima in seinem Meisterwerk "Asche und Glut"(1982) immer wieder zurück. Es ist ein Panoptikum der Gewalt gegen Schwarze. Der Protagonist Charles war Soldat in Vietnam; die Erinnerungen an den Krieg und der strukturelle Rassismus in der US-amerikanischen Gesellschaft machen ihn zu einem "Heimatlosen", was die episodische Erzählung des Films durch den steten Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Stadt und Land, Ost-und Westküste verdeutlicht.
"Asche und Glut" war ein Höhepunkt der kleinen Retrospektive, die die Universität für angewandte Kunst, die Akademie der bildenden Künste und das Stadtkino der Regielegende Haile Gerima im Juni vergangenen Jahres widmeten. Der damals wegen einer Covid-Erkrankung kurzfristig abgesagte Besuch des Filmemachers wird jetzt nachgeholt: Von 14. bis 17. Juni ist Gerima auf Einladung der Angewandten und der Bildenden in Wien zu Gast, um über (Neo-)Kolonialismus und das "Cinema of Liberation" zu diskutieren sowie Previews seiner jüngsten Arbeiten zu zeigen.
Emigration und Heimkehr, Sklaverei und Black Consciousness, der Kampf gegen die Hollywood-Kolonialisierung unseres Bewusstseins: So lauten bestimmende Themen seines Werks. Haile Gerima, 1946 in Äthiopien geboren, kam im Alter von 22 Jahren in die Vereinigten Staaten. Er studierte Film an der UCLA, wofür er sich anfangs, eigenen Aussagen zufolge, ein wenig genierte: Hätte er nicht, wie man es damals von Auswanderern erwartete, Agronom oder gleich Mediziner werden und nachher wieder in seine Heimat zurückkehren sollen?
Stattdessen fing er an, Filme zu drehen. Den Anfang machten "Kill Tarzan" und "Birth of a Nation", zwei lange verschollen geglaubte Studentenarbeiten, die auch in Wien auf dem Programm stehen. Indem er den weißen Imperialisten mit der Windelhose sterben ließ, so Gerima, habe er sich erst selbst von der eigenen Kolonisierung durch populäres Genrekino à la Tarzan befreit.
Anfang der 1970er gingen schwarze Studierende an der Filmschule auf offenen Konfrontationskurs mit Hollywood, die Bewegung wurde als "L.A. Rebellion" bekannt. Charles Burnett, Julie Dash, Larry Clark (nicht der Fotograf!) und eben Haile Gerima schufen als Alternative zum Mainstream ein New Black Cinema, das sich unter anderem durch innovative Formensprache und selbstbewusste Charaktere auszeichnete.
Allerdings musste Gerima schnell erkennen, dass die Hollywoodstudios null Interesse daran hatten, Filme zu unterstützen, die Geschichten über das Leben von Schwarzen aus der Perspektive schwarzer Protagonisten erzählen. Seit 1975 lebt er in Washington, DC, um dort zu seinen eigenen Bedingungen zu arbeiten, völlig unabhängig von der Filmindustrie.
Hierzulande ist sein Schaffen bisher nur wenig präsent. Erst während der letzten paar Jahre wurde Haile Gerima als Galionsfigur eines modernen "Befreiungskinos" gewürdigt, seither sind einige seiner zentralen Werke auch einem größeren Publikum zugänglich. So brachte die Regisseurin Ava DuVernay etwa "Asche und Glut" in einer digital restaurierten Fassung neu heraus; der Klassiker "Sankofa" (1993), die Geschichte eines Fotomodels, das in der Zeit zurückversetzt und zur Sklavin wird, fand sogar Eingang in die Plattform Netflix.
Umso abstruser wirken die Schwierigkeiten, die Gerima bei seinem aktuellen Film "Black Lions, Roman Wolves" hat. Bereits seit Jahren wird die Fertigstellung dieses fünfstündigen Dokumentarepos über Äthiopien und die italienische Invasion unter Mussolini 1935 durch die Archivpolitik des Istituto Luce in Rom verunmöglicht: Man weigert sich dort schlicht, Haile Gerima dringend benötigtes Bildmaterial der faschistischen Okkupation verfügbar zu machen -und verweigert den Menschen seines Landes mithin ihr "Recht auf Erinnerung".
Cinema of Liberation Öffentlicher Vortrag von Haile Gerima mit Screening seiner allerersten Studentenfilme Universität für angewandte Kunst/Auditorium, 14.6., 18.00
"Black Lions, Roman Wolves" Ancestors in /and the Colonizing Archives. Vorführung des unveröffentlichten Films und Podiumsdiskussion mit Haile Gerima Filmhaus, 15.6., 17.00
Cinema and Maroonage Screening von "The Maroons" (Haile Gerima, unveröffentlicht) und "Malunguinho"(Felipe Peres Calheiros, 2013) sowie Gespräch mit den Filmemachern Filmhaus, 17.6., 15.00
Alle Veranstaltungen in englischer Sprache und bei freiem Eintritt