Sommerkunst

Freche Gören, flotte Großmamas, Mutter-Tochter-Paarläufe: Der Wiener Ausstellungsbetrieb zeigt sich aktuell von seiner besten Seite. Als Draufgabe breitet das Festival Foto Wien sein Programm auf mehr als 100 Orte aus

FALTER:Woche, FALTER:Woche 24/2023 vom 14.06.2023

Yoshitomo Nara Mein Gott, sind die niedlich! Mit Zeichnungen hinreißend widerspenstiger Gören rückte der Japaner Yoshitomo Nara in den frühen 2000er-Jahren an die Spitze des Kunstmarkts vor. Die Retro "All My Little Words" in der Albertina Modern zeigt die Genese seines unverwechselbaren Stils. Nara hat die Bilder aus 40 Jahren selbst chronologisch gehängt und einen ebenso dichten wie reizvollen Parcours kreiert.

Die biografischen Saaltexte erzählen etwa, dass der 1959 geborene Künstler bereits als (Schlüssel-)Kind zu Popsongs die Buntstifte zückte. Anstatt Manga-Artist zu werden, studierte er an der Kunstakademie Düsseldorf. Dort entwickelte Nara seine typisch flache Figurendarstellung, stets süß und ein bissi sauer. Naras Pop-Art verströmt Verletzlichkeit. Mit dem Häuschen "My Drawing Room" spielt er auf der Klaviatur der Künstlerromantik: eine mit Zeichnungen und Nippes angefüllte Klause, ein Hideaway für einen Outsider, dessen Werke mittlerweile sündteuer sind.

Albertina Modern, bis 1.11.

Foto Wien Alle zwei Jahre erblüht im hiesigen Ausstellungsbetrieb ein ansonsten wenig gegossenes Medium: Das Festival Foto Wien macht den Juni zu einem bildgewaltigen Monat, währenddessen auch rund 300 fotobezogene Events stattfinden. "Photography Lies" lautet das Motto, das Wahrheit versus Fake auslotet. Im Museumsquartier läuft dazu die Themenschau "Crossing Lines. Politics of Images", die von Festivalleiter Felix Hoffmann (Foto Arsenal Wien) gemeinsam mit der ukrainischen Künstlerin Kateryna Radchenko konzipiert wurde.

Die Ausstellungspalette reicht von einer Werkschau der niederländischen Fotografin Maria Austria im Jüdischen Museum (ab 21.6.) und einer Retro von VALIE EXPORT in der Albertina (ab 23.6.) bis hin zu Präsentationen in Galerien, Projekträumen und Ateliers. Tipp: Das Faltplakat des Festivals zeigt auf dem Stadtplan, wo derzeit überall Fotos hängen.

Diverse Orte, bis 30.6.

The Würth Collection Der Selfmade-Milliardär Reinhold Würth hat im Lauf seines Lebens um die 19.000 Kunstwerke erworben, die er an verschiedenen Orten ausstellt. Für die Sammlungsschau "Amazing" konnte das Leopold Museum eine Auswahl von 200 Leihgaben nach Wien holen. Der Rundgang setzt mit Gemälden um 1900 ein, etwa Edvard Munchs "Vampir", idyllischen Parklandschaften von Max Liebermann oder einem frühen Frauenporträt von Piet Mondrian. Zu den stärksten Ausstellungskapiteln zählt der Max-Beckmann-Saal, wo ein cooles Porträt der Gattin des Künstlers im kobaltblauen Badeanzug hängt. Vorbei an Werken von Picasso, Max Ernst oder Sonia Delauney führt die Tour zu Arbeiten der Nachkriegszeit, mit Schwerpunkten auf den Verpackungskünstler Christo oder die bleiernen X-Large-Trümmerbilder von Anselm Kiefer.

Leopold Museum, bis 10.9.

Laure Prouvost Sinnlichkeit, Reiselust und Feminismus sind Fixstarter in der Kunst von Laure Prouvost, die heuer für die Wiener Festwochen eine Ausstellung konzipiert hat. Dafür filmte die Französin eine Gruppe von Frauen an der Küste von Marseille dabei, wie sie ihre Großmütter -die echten ebenso wie Idole aus der Geschichte -beschwören.

Die Schau mit dem Titel "Ohmmm age Oma je ohomma mama" verknüpft Sound und filigrane Skulpturen. Die Lichtregie im verdunkelten Saal leitet zum Inselhopping zwischen den einzelnen Stationen an, die Arrangements mit Glasskulpturen oder Mobiles zeigen. Prouvosts zollt Legionen emanzipierter Frauen seit der Venus von Willendorf Respekt. Dabei legt die Turner-Prize-Trägerin Fährten zu Persönlichkeiten wie der Barockmalerin Artemisia Gentileschi oder der US-Bürgerrechtlerin Rosa Parks.

Kunsthalle Wien, bis 1.10.

Yasmeen Lari Als 2022 weite Teile Pakistans von einer Flutkatastrophe heimgesucht wurden, wandte sich die 82-jährige Architektin Yasmeen Lari mit einem Youtube-Tutorial der speziellen Art an ihre Landsleute. Sie erklärte, wie die Betroffenen aus den lokalen Werkstoffen wie Lehm, Kalk und Bambus selbst flutresistentere Häuser errichten können. Schon davor hatte die erste Architektin ihres Landes dabei geholfen, dass mehr als 100.000 DIY-Hütten für die Ärmsten der Armen entstehen.

Das Architekturzentrum Wien widmet der ersten Baukünstlerin Pakistans eine Schau. Die modernistischen Villen und Firmengebäude, welche die Oxford-Absolventin in brutalistischem Stil für die Eliten ihres Landes entworfen hat, beeindrucken dabei weniger als die sozial und ökologisch orientierte "Barfußarchitektur" der letzten 20 Jahre.

Architekturzentrum Wien, bis 16.8.

Vivian Suter

In Buenos Aires und Basel aufgewachsen, wanderte die Malerin Vivian Suter 1982 nach Guatemala aus. Auf dem Gelände einer ehemaligen Kaffeeplantage werkte sie jahrelang in splendid isolation dahin, bis sie 2017 auf der internationalen Kunstschau Documenta viel Begeisterung erzeugte. Als ein Sturm ihr Atelier unter Wasser setzte und ihre Werke aus 30 Jahren ruiniert erschienen, wechselte Suter ihre Methode. Sie begann, Leinwände zwischen die tropischen Bäume zu spannen und sie der Witterung auszusetzen. Mittlerweile hat die Künstlerin eine Art geballter Präsentation entwickelt, bei der sie ihre Bilder kreuz und quer durch den Raum hängt und auf den Boden legt. So setzt sie herkömmliche Hierarchien und Ordnungen, wie Bilder betrachtet werden, außer Kraft. Abstrakte Malerei wird zu einem Strom, der die Wahrnehmung überfordert und im besten Fall mitreißt.

Secession, bis 18.6.

Elisabeth Wild Weil ihr Wiener Vater Jude war, musste die 16-jährige "Liesl" 1938 nach Argentinien fliehen. Dort nahm Elisabeth Wild Zeichenunterricht und entwarf Muster für Textilien, bis sie mit ihrem Ehemann 1962 nach Basel emigrierte. "Fantasiefabrik" hieß die erste Soloschau der Künstlerin, die erst mit 90 Jahren "entdeckt" wurde.

Ein Haus aus Karton zeigt, mit welchen Bildern und Erinnerungsstücken die Mutter von Vivian Suter (siehe links) im Dschungel von Guatemala lebte. An den Rollstuhl gefesselt, klebte Wild aus Magazinschnipseln fiktive Bauten und Räume. Dabei entfaltete sie ein erstaunliches konstruktivistisches Gespür, wie die 365 Papierarbeiten beweisen. Bis zu ihrem Tod 2020 produzierte die Künstlerin noch täglich ein Bild. Bitte keinesfalls den Film über das Mutter-Tochter-Gespann in der Videokoje verpassen.

Mumok, bis 7.1.

/imagine: Eine Reise in die Neue Virtualität Die Virtual-Reality-Brille aufsetzen und ab in den Cyberspace: Im Mak entführt die Installation "The Portal Galleries" zu magischen Portalen wie Türen, Spiegeln, Höhlen oder Bodenrissen. Das Kollektiv Space Popular verknüpft Beispiele aus Literatur und Popkultur mit der Frage, wie im Metaverse Durchgänge zwischen bislang getrennten Welten geschaffen werden können.

Die Ausstellung "/imagine" illustriert den Wandel unseres räumlichen Denkens durch die digitalen Möglichkeiten. Der Titel ist auch der Startbefehl von Midjourney, einer künstlichen Intelligenz, mit der unter anderem utopische Architekturen generiert werden können. Anhand von State-of-the-Art-Beispielen aus Architektur, Design und Kunst vermittelt die Ausstellung auf niederschwellige Weise Chancen und Sackgassen fiktiver Räume.

Mak, bis 10.9.

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