Rebellin mit vielen Gründen: Mehr als Kunst gegen das Patriarchat

FALTER:Woche, FALTER:Woche 25/2023 vom 21.06.2023

Was haben sich die Passantinnen und Passanten da wohl gedacht: 1969 plakatierte die Künstlerin VALIE EXPORT in den Straßen rund um ihr Wiener Stammlokal Hawelka das Poster "Aktionshose: Genitalpanik", für das sie mit im Schritt aufgeschnittener Jeans, wilder Perücke und Maschinenpistole posierte. Für die große Retrospektive, die ab 30. Juni in der Albertina läuft, konnten nun viele dieser Originalplakate wieder aufgetrieben werden.

Albertina-Kurator und Fotospezialist Walter Moser zeigt das Œuvre der 83-Jährigen so facettenreich wie selten zuvor und fördert viel Unbekanntes zutage. Angefangen beim ersten 8-mm-Film "Selbstporträt mit Kopf" aus dem Jahr 1966/67 fächert die Schau die Medienvielfalt und die konzeptuelle Prägnanz eines Schaffens auf, das gern auf seine Aufreger wie die Aktion "Tapp-und Tastkino" reduziert wird. Der Kampf um weibliche Emanzipation und Selbstbestimmung war für VALIE EXPORT eine ebenso starke Triebfeder wie der Wunsch, künstlerisch neue Wege zu gehen. Sie exerzierte an ihrem Körper durch, wie patriarchale Unterdrückung wirkt, kämpfte aber gleichzeitig zurück -zum Beispiel durch die Art und Weise, wie sie mächtige Posen einnahm und den Blick umkehrte. Raum und Sprache spielten in den Experimenten mit Fotografie, Film und Video eine zentrale Rolle, etwa in der 25-teiligen Videoinstallation "Die un-endliche /-ähnliche Melodie der Stränge", die nun gezeigt wird.

In "Körperkonfigurationen" schmiegten sich VALIE EXPORT und ihre Modelle an Mauern und Gehsteige an, sodass die Diskrepanz zwischen dynamischem Körper und Beton gewordener Umwelt offenbar wird. Immer wieder tritt auch der Humor zutage, etwa als sie bei der Straßenaktion "Homometer II" mit einem umgebundenen Brotlaib Passanten anspricht und eine Scheibe abschneiden lässt. Oder als sie ihren partner in crime Peter Weibel auf allen vieren an der Leine führt ("Aus der Mappe der Hundigkeit"). Auch das spielerische Nachstellen kunsthistorischer Werke bürstet das Image der "kastrierenden Emanze" gegen den Strich.

Albertina, bis 1.10.

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