Ich habe kurz die Orientierung verloren. Putin weiß, warum
Der Kommentar des Herausgebers
Das Faszinierende bei geschichtlichen Vorgängen, in deren Strudel oder an deren Rand man sich befindet, ist, dass die Bewegung, in der man sich fängt, zugleich das Bewusstsein von ihr auszuschalten scheint.
Das macht all die Versuche, sofortistische Interpretationen zu liefern, ehe sich die Ereignisse ausgestalten, irgendwie lächerlich. Genauso lächerlich wäre es, zu versuchen, sich dem Interpretationszwang zu entziehen, in unserem Beruf zumal. Man hat keine Ahnung, muss aber davon reden. So trifft in einem einzigen Leitartikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die zutreffend triumphalistische Bemerkung, der russische Präsident Putin sei jetzt nackt und habe sich als Feigling erwiesen, auf das Resümee, nun sei er noch gefährlicher als zuvor.
Da es sich um kriegerische Vorgänge handelt, vielleicht auch bürgerkriegerische, vielleicht auch nur kriegsspektakelhafte, wer weiß das schon, liegt es nahe, Offiziere zurate zu ziehen. Es ist angenehm, ihnen zuzuhören, weil sie von Informationen ausgehen und sich weigern, zu spekulieren, gewöhnt daran, dass ihre Spekulationen im Ernstfall mit Menschenleben spielen. Diese Überlegung trifft übrigens auf jede Art von Spekulation zu, wird jedoch gewöhnlich von der Leidenschaft der Meinungsspekulanten verdrängt. Der Wettbewerb der Meinungen floriert am besten, wenn er so tut, als habe er keine Konsequenzen.