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Lyrik über die Liebe und den Krieg
Zwei Menschen im Sommer am Meer in der Nähe von Halifax: Sie leben in den Tag hinein, scheinen für nichts verantwortlich zu sein. Dabei gerät die Zeit aus den Fugen und die Fantasie übernimmt das Ruder. Michael Stavaričs Gedichtband ist konsequent in Dreizeilern verfasst, mit dem tragenden Stilmittel des Enjambements, er liest sich aber wie Prosa. Trotzdem handelt es sich hier um genuine Lyrik, changierend zwischen hohem Ton und Alltagssprache: "Wir verließen uns auf /Ameisenkolonnen, um unsere Nahrung herbeizuschaffen, / zum Glück hielten sie uns beide für ihre // Mütter."
Dem in Wien lebenden Autor ist ein kurzweiliges Langgedicht über die Liebe als Fest der Sprache gelungen. Es feiert auch die -bedrohte - Natur, den Dichter als ewiges Kind und jenes "Wir", mit dem die meisten Gedichte beginnen.
KIRSTIN BREITENFELLNER
Michael Stavarič: Die Suche nach dem Ende der Dunkelheit. Gedichte. Limbus, 95 S., € 16,–
Der Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 hat die deutsche Lyrikerin Anja Utler aus der Bahn geworfen. Sie verlor all ihre in das Dichten gesetzte Hoffnung, ja ihr Konzept - und stürzte in eine tiefe Trauer. Dass sie sich dafür in ihrem Bekanntenkreis rechtfertigen musste, als ob sie an einem emotionalen oder intellektuellen Defekt litte, empfand sie als "Frechheit".
Mit den 206 Haikus von "Es beginnt" erobert sich Utler trotzig und tastend das Schreiben zurück. Sie heben fast alle mit derselben Formel an: "Es beginnt der Tag; / maßlos innach allen die /nicht tot sein müssten / es nicht dürften und es sind." "Es beginnt der Tag, / erkennungsdienstlich: ich ist / unverändert; er / soll mich auslachen; tut|s nicht.""Es beginnt der Tag, / ich schau; einen Moment lang / sehe ich." Dichten als eine Überlebensstrategie.
Anja Utler: Es beginnt. Trauerrefrain. Edition Korrespondenzen, 270 S., € 25,–
KIRSTIN BREITENFELLNER