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Impulstanz feiert von 6. Juli bis 6. August sein 40-jähriges Bestehen. Dazu überbietet sich das international einzigartige Tanzfestival in der Fülle an Performances und Workshops selbst. Hier einige Programm-Highlights

FALTER:Woche, FALTER:Woche 27/2023 vom 04.07.2023

Anne Teresa De Keersmaekers „Fase, Four Movements to the Music of Steve Reich“ (Foto: Anne Van Aerschot)

Eine Ikone der Tanzgeschichte

Wer eine der Erfinderinnen der postmodernen Choreografie live erleben möchte, hat dazu beim Jubiläumsfestival die Chance: Lucinda Childs prägte die Tanzgeschichte: Sie war Teil des legendären Judson Dance Theater und gründete 1973 ihre eigene Company. Nun kommt die 83-jährige US-Tänzerin und Choreografin mit zwei Werken nach Wien. Für „Relative Calm“ kooperierte sie erneut mit dem Regisseur Robert Wilson und der italienischen Company MP3 Dance Project. Außerdem tritt Childs selbst in „distant figure Part I: Description (of a description) Part II: 4 etudes by Philip Glass“ auf.

„Relative Calm“: Volkstheater, 7. bis 10.7., 21.00
„distant figure“: Akademietheater, 16. und 17.7., 19.00


Einmal noch Zitronismus im Museum

In Japan sind Zitronen unerschwinglich teuer. Die in Wien heimisch gewordene japanische Performerin Akemi Takeya erachtet es als Glück, dass in Österreich so viele Zitronen für so wenig Geld zu haben sind. Unter dem Titel „Lemonism“ kreist das Werk der Künstlerin seit 2015 um die Zitrusfrucht. Heuer präsentiert sie in einer neuen Soloarbeit das Abschlusswerk ihrer Serie. „The Act of LemoDada“ findet, wie mehrere Performances bei Impulstanz, im Museumsraum statt. Im Rahmen von Adam Pendletons Ausstellung „Blackness, White, and Light“ transferiert Takeya die Anfang des 20. Jahrhunderts entstandene Kunstströmung Dadaismus in die Gegenwart.

Mumok, 20. und 22.7., 19.00


Lieblingsproduktionen

Mit der Reihe „Classics“ zeigt Impulstanz bedeutende oder besonders beliebte Produktionen der Festivalgeschichte erneut. Diesmal sind das gleich acht Stücke: Manche haben einst neue Strömungen im zeitgenössischen Tanz begründet, andere genießen schlichtweg Kultstatus, darunter etwa Clara Fureys „Dog Rising“ (18. und 20.7., Odeon).

Anne Teresa De Keersmaekers „Fase, Four Movements to the Music of Steve Reich“ (Foto) verdient von diesen Performances den Titel Klassiker am meisten. Das Stück verschaffte der belgischen Tänzerin 1982 den Durchbruch als Choreografin. Ursprünglich trat De Keersmaeker darin selbst auf, nun übernehmen zwei junge Tänzerinnen aus ihrer Compagnie Rosas (Volkstheater, 17. bis 19.7.).

Impulstanz-Stammgast Meg Stuart nahm mit „Blessed“ die Klima- und Finanzkrise vorweg, heuer läuft das Stück in überarbeiteter Form (MQ, Halle G, 22. und 24.7.). Auch Trajal Harrell ist ein alter Bekannter. Der US-Tänzer und Choreograf zeigt die Classics „Maggie The Cat“ (Volkstheater, 4. und 6.8.) und „The Köln Concert“ (Volkstheater, 31.7. und 2.8.) sowie die Uraufführung „Monkey off My Back or the Cat’s Meow“ (MQ, Halle E, 27. und 29.7.).

Ivo Dimchev bietet auch heuer wieder seinen Feelgood-Evergreen „The Selfie Concert“: Er singt so lange, als das Publikum dabei Selfies mit ihm macht (Mumok, 4.8.). Christine Gaiggs „DeSacre!“ erinnert noch einmal an die tollkühnen russischen Rebellinnen Pussy Riot (Otto-Wagner-Kirche, 30.7. und 1.8.), und Doris Uhlich bringt zum zehnjährigen Jubiläum ihre glücklich machende Nackttanz-Performance „more than naked“ (MQ, Halle G, 8. bis 10.7.).


Hauchen und Tönen

Die Choreografin und Tänzerin Marie Chouinard machte sich in den 1980ern mit provokanten Performances einen Namen. Die demonstrative Zurschaustellung des (weiblichen) Körpers war sowohl eine Referenz auf die feministische Aktionskunst als auch ein Statement gegen die Künstlichkeit des traditionellen Balletts. Vor 30 Jahren verließ die Kanadierin den reinen Solotanz und gründete eine nach ihr benannte Gruppe. Seit 1988 gehört diese zu den Stammgästen von Impulstanz. Nun kommt die Compagnie mit dem Stück „M“ nach Wien: Zwölf Tänzer:innen in grellen Outfits konzentrieren sich auf ihren Atem und verwandeln ihn in kraftvolle Soundpoesie.

Volkstheater, 12., 14. und 15.7., 21.00


Momente einer Affäre

In einer imaginären Karaokebar trifft das Publikum auf ein exzentrisches Paar: Luca Bonamore und Lau Lukkarila gehen in „Lapse and the Scarlet Sun“ als Poletänzerin, Sappho, Jesus und Marlene Dietrich eine aufregende Club-Affäre ein. Der römische Tänzer Bonamore tritt vor allem unter seinem Pseudonym Pornamore auf und erobert gerade die Wiener Performance-Szene. Lukkarila, ursprünglich aus Finnland, kennt man hier schon etwas länger; die Choreograf:in und Performer:in begeisterte etwa 2021 mit ihrem erotischen, postromantischen und gruseligen Tanzsolo „Nyxxx“. Die Zusammenarbeit der beiden könnte ikonische Momente hervorbringen.

Odeon, 26.7., 21.00 und 28.7., 19.00


Sex, Schlager, Spa und Spurensuche

In der Reihe [8:tension] präsentiert Impulstanz den internationalen Nachwuchs. Sebastiano Sing begründet in „Mathieu“ das Genre Dark Schlager (Schauspielhaus, 18. und 20.7.); Chara Kotsali erzählt in „To Be Possessed“ von besessenen Frauenfiguren in Horrorfilmen (Schauspielhaus, 10. und 12.7.). Die Wiener Produktion „Fugue Four : Response“ thematisiert Lust abseits des Patriarchats (Schauspielhaus, 4. und 6.8.), ebenso Marga Alfeirãos Duett „Lounge“, das nach einer neuen Erotik sucht (Burgtheater-Kasino, 25. und 27.7.). Harald Beharies Solo „Batty Bwoy“ deutet den titelgebenden, abwertend gemeinten Slang-Begriff für einen queeren Mann positiv um (Mumok, 24. und 27.7.); Anne Lise Le Gac führt mit „La Caresse du Coma feat. Yolo“ in eine kroatische Spa-Anlage (Burgtheater-Kasino, 1. und 3.8.), und James Batchelor begibt sich in „Shortcuts to Familiar Places“ per Ausdruckstanz auf eine Spurensuche, die von Österreich nach Australien führt (Schauspielhaus, 24. und 26.7.). Anna Biczóks „Delicate“ sammelt (ost-)europäische Erfahrungsgeschichten (Burgtheater-Kasino, 21. und 23.7.), und Shootingstar Esben Weile Kjær liefert mit „BURN!“ eine live ins Internet übertragene Feuerwehr-Show (Mumok, 8.7.).


Tänzerinnen, die rebellieren

Eine Fast-Food-Angestellte schleudert einem prügelnden Mann Pommes ins Gesicht. Eine Schülerin erzählt, wie sie als „Schlampe“ beschimpft wurde. Und eine Schwangere überlegt, ob sie ihren gewalttätigen Mann anzeigen soll. Die französische Star-Choreografin Mathilde Monnier verwandelt die Arte-TV-Serie „H24 – 24 Stunden im Leben einer Frau“ in packendes Tanztheater. Im Gruppenstück „Black Lights“ rebellieren die Körper gegen die Trivialisierung von Gesten, Worten und Aggressionen gegen Frauen. Monnier tanzt am 1. August außerdem mit 27 Männerschuhen im Solo „Défilé pour 27 chaussures“ in der Heidi Horten Collection.

Volkstheater, 28.7., 21.00 und 30.7., 19.00


Seelische Nacktheit

Marina Otero hat ihren Körper durch das Tanzen zugrunde gerichtet. Nach einem einjährigen Krankenhausaufenthalt steht die argentinische Tänzerin zwar wieder auf der Bühne, sie schaut nun allerdings anderen dabei zu, „wie sie ihre Körper für meine narzisstische Sache zur Verfügung stellen“. Ein halbes Dutzend nackte Männer erzählen die Autofiktion dieser radikalen Künstlerin. Otero, die Enkelin eines Geheimdienstoffiziers der argentinischen Militärdiktatur, bringt in „Fuck me“ finstere Geheimnisse zur Sprache und macht aus persönlicher Geschichte offenen Protest. Otero zeigt beim Festival außerdem das Solo „Love me“, das von ihrer Flucht nach Spanien handelt (Schauspielhaus, 28.7.).

Akademietheater, 25.7., 21.00 und 27.7., 19.00


Countertenor und Kitschorgel

Benjamin Abel Meirhaeghe dreht die große Theatermaschine auf: Kunstnebel, Kitschorgel, überirdischer Gesang und Lagerfeuer. Der belgische Countertenor und Regisseur sorgt mit seiner Mischung aus Tanz- und Musiktheater gerade international für Aufsehen. „Madrigals“ ist eine Neuinszenierung von Claudio Monteverdis Kriegs- und Liebesgesängen. Die Tänzer:innen und Musiker:innen feiern darin die Menschheit und ihre Utopie der Freiheit. Meirhaege tritt zudem in seinem Performance-Konzert „Spectacles“ auf: Auch hier dominieren Bühnennebel und überirdischer Gesang.

„Spectacles“: Volkstheater, 21.7., 23.00; „Madrigals“: Volkstheater, 24. und 26.7., 21.00

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