Im Wiener Becken
Unser Autor ist seit Jahren Stammgast im Ottakringer Bad. Seine Langzeitbeobachtung aus der untersten Beletage Wiens ist auch ein Porträt dieser Stadt

Echte Originale würden weniger werden, klagt der Bad-Chef, doch die neuen Gäste pflegen bereits eigene Traditionen (Foto: Heribert Corn)
Dem Basilikum ist der kalte Start in die Saison noch anzusehen. „Jetzt fängt er sich, jetzt holt er die Sonne nach“, sagt Bademeister Ibo und streicht über die Blüten im Holzkistl wie einst der Film-„Gladiator“ Russell Crowe die Ähren im Weizenfeld.
Ibo war auch Soldat, 1994 ist er als Ibrahim aus dem Nordirak geflüchtet, 1996 hat er als Ibo im Ottakringer Bad zu arbeiten begonnen. Seine Basilikumsorte heiße „Raihan“, sagt er, und ist aus Samen aus seiner ersten Heimat gezogen. Neben dem Basilikum vor der Bademeisterwachstube wächst in einem weiteren Holzkistl der Salat, daneben steht Minze in einem Beet, daneben Tomaten, daneben Paprika. „Ich mag Ordnung“, sagt Ibo.
Wenn er auf sein Beckenrayon schaut, können seine Augen hinter der verspiegelten Sonnenbrille überall sein. Es gibt Bademeister, die mit der Trillerpfeife regieren. Wenn Ibo über den Brillenrand schaut, pfeift sein Blick. Aber noch ist kein Warnpfiff, kein Augenschwiff notwendig. Noch ist früher Vormittag. Noch defilieren Seniorenverbände in Zweier-, Dreier-, Viererformation schwimmplaudernd das Mehrzweckbecken rauf und runter. Die Schwimmbrillen-Sportfraktion ist nach einigem gekraulten Hin und Her nach dem Aufsperren des Bads wieder weg.