Blattkritik

70.000 Zeichen Selbstmitleid: Der deutsche Journalist Fabian Wolff „entdeckt“ seine Identität

Medien, FALTER 31/2023 vom 01.08.2023

Auf Zeit online klärt Fabian Wolff über seine fehlende jüdische Herkunft auf (Foto: Screenshot Zeit.de)

Schon im ersten Satz seines Essays „Mein Leben als Sohn“, das am 16. Juli auf Zeit online erschienen ist, erwähnt der deutsche Journalist Fabian Wolff seine eigene Psychotherapie. Man erwartet also allerhand Selbstreflexives. Mitnichten: 70.000 selbstmitleidsvolle Zeichen lang erzählt Wolff, dass er erst mit 18 Jahren von seiner jüdischen Herkunft erfuhr. Und nun recherchiert habe, dass die vermeintliche jüdische Großmutter gar keine Jüdin ist.

Warum der Text trotz seiner verschachtelten Sätze seit Wochen das deutsche Feuilleton aufregt: Wolff, Jahrgang 1989, hatte in seinen Artikeln und Auftritten gerne seine Herkunft als jüdischer Deutscher betont. Aus dieser Position heraus hatte er auch kontroverse Meinungen vertreten – und etwa gängige Antisemitismusdefinitionen hinterfragt und die Boykottbewegungen gegen Israel unterstützt. Dabei beschrieb er Details über sein Heranwachsen, die im Widerspruch zu seiner neuen Aussage stehen, er habe erst als junger Erwachsener von seiner Familiengeschichte erfahren.

Die Frage, wer eine jüdische Identität für sich reklamieren kann und wer nicht, ist hier nebensächlich. Es geht um etwas Grundsätzliches: Wer seine Sprecherposition aus seiner Herkunft legitimiert, muss dabei ehrlich sein. Das war Wolff sichtlich nicht. Warum, erklärt er in seinem Essay nicht. Vielleicht aber in der Psychotherapie.

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